Frage zu den Sonetten an Orpheus

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

Antworten
Todor
Beiträge: 3
Registriert: 12. Feb 2009, 13:21

Frage zu den Sonetten an Orpheus

Beitrag von Todor »

Hallo,

Im Rahmen einer Seminararbeit beschäftige ich mich mit den Sonetten an Orpheus. Meine Frage bezieht sich auf das erste Gedicht. Laut dieser Ausgabe (Insel Verlag 2003, Gesammelte Werke) finden sich in Strophe zwei zwischen den Phrasen "Tiere aus Stille" und "drangen aus dem klaren" sowie zwischen "gelösten Wald" und "von Lager und Genist" je zwei deutlich sichtbare Leerzeichen, wo hingegen (eine oberflächliche Suchmaschinensuche) über diese Leerstellen hinwegsieht.
Weiß einer, wie das im Original ausgesehen hat bzw. in einer historischkritischen Ausgabe, falls es eine solche gibt?

Ich bedanke schonmal im Vorraus!

Grüße

Todor
stilz
Beiträge: 1226
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Re: Frage zu den Sonetten an Orpheus

Beitrag von stilz »

Also, ich weiß ja leider nicht, wie es im Original ausgesehen hat. Aber da bisher niemand sonst geantwortet hat, will ich doch sagen:
Ich bin ganz sicher, daß die Leerstellen original sind.
Es gibt in meinem "Insel"-Band ("Rainer Maria Rilke: Die Gedichte") etliche Gedichte mit solchen "Leerstellen", schau zum Beispiel mal hier...

Sehr auffällig sind die Leerstellen in diesem Gedicht, das sie geradezu spalten (aus dem Briefwechsel mit Erika Mitterer) {und da sieht man gleich, wieso es im Internet, auch hier auf rilke.de, nicht in dieser Gestalt zu finden ist: ich kriege diese Leerstellen hier nicht zusammen und helfe mir mit gefärbten "_____"; im oben zitierten posting waren es noch ungefärbte "***"}:
  • Taube, die draußen blieb _____ außer dem Taubenschlag,
    wieder in Kreis und Haus,
    _____ einzig der Nacht, dem Tag,
    weiß sie die Heimlichkeit,
    _____ wenn sich der Einbezug
    fremdester Schrecken schmiegt
    _____ in den gefühlten Flug.

    Unter den Tauben, die
    _____ allergeschonteste,
    niemals gefährdetste,
    _____ kennt nicht die Zärtlichkeit;
    wiedererholtes Herz
    _____ ist das bewohnteste:
    freier durch Widerruf
    _____ freut sich die Fähigkeit.
Lieben Gruß

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Todor
Beiträge: 3
Registriert: 12. Feb 2009, 13:21

Re: Frage zu den Sonetten an Orpheus

Beitrag von Todor »

Hallo

Danke erstmal für die Antwort. Dass die Leerstellen möglicherweise originalgetreu sind, mag ja sein. So ganz bin ich aber noch nicht überzeugt. Zum einen, weil wir hier vom gleichen Verlag sprechen, womöglich von der gleichen Ausgabe /Gesammelte Werke in 5 Bänden) Mich würde interessieren, wie das in anderen Ausgaben gemacht wird und wo ich das original nachschauen könnte. Und warum die Leerstellen. Sind doch nicht immer Enjambements?!

Freundliche Grüße

Todor
Harald
Beiträge: 230
Registriert: 28. Dez 2005, 23:47

Re: Frage zu den Sonetten an Orpheus

Beitrag von Harald »

"...man sieht in der Handschrift, wie viel Macht die Zeile, die möglichst geradlinige rechtsbündige Kontur besitzt", stellt Heike Gfrereis in "Soll man Literatur ausstellen" in: Gfrereis, Lepper in "Deixis: Vom Denken mit dem Zeigefinger" fest. Wie recht sie hat, zeigt ein Original:

Bild

Das wäre eine Erklärung für das Phänomen, das du beschreibst.
Zuletzt geändert von Harald am 14. Feb 2009, 18:32, insgesamt 1-mal geändert.
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
Todor
Beiträge: 3
Registriert: 12. Feb 2009, 13:21

Re: Frage zu den Sonetten an Orpheus

Beitrag von Todor »

Hallo

Interessant, das Phänomen anhand eines Textstückes betrachten zu können. Ich finde es zwar etwas problematisch, einerseits von "Macht der Zeile" zu sprechen, wenn es Rilke womöglich nur darum gíng, den optischen Zusammenhalt des Gedichtes darzustellen. Natürlich, stellt man das inhaltliche Sprenpotenzial der Form gegenüber, gleichermaßen dem Sonett als innerer Regelung wie auch der visuellen Erscheinung, kann man schon von einer Spannung sprechen, die hier entsteht. Die These scheint mir aber insofern gewagt, als er das Auffüllen der Verse durchgehend macht und nicht punktuell zur besonderen Markierung einzelner Stellen, dem man entgegnen könnte, dass eben alles in seinen Sonetten tragend oder von mythischer Kraft sei.

Den Literaturverweis werde ich auf jeden Fall berücksichtigen. Danke für die Veranschaulichung.

Freundliche Grüße

Todor
Tischtennisgott
Beiträge: 4
Registriert: 17. Nov 2008, 19:01

Re: Frage zu den Sonetten an Orpheus

Beitrag von Tischtennisgott »

Hallo,

hier kommt es darauf an, was man unter dem "Original" versteht; es gibt Handschriften und verschiedene Ausgaben. Wenn man die Erstausgabe von 1923 als Original nimmt, ist die Insel-Ausgabe eine relativ gute Grundlage, für die beste Ausgabe der Sonette an Orpheus halte ich aber, nachdem ich im Literaturarchiv Marbach mal mit Erstdruck und Handschrift verglichen habe, die Reclam-Ausgabe von Wolfram Groddeck.

Die Leerzeichen sind wieder ein Problem für sich. In den Handschriften gibt es sie häufig, und ich glaube die Engel/Fülleborn-Ausgabe druckt sie auch nach, wobei diese Ausgabe sich mal auf Handschriften, mal auf den Erstdruck zu beziehen scheint.

Der Erstdruck von 1923 ist im Internet einzusehen, und zwar unter:
http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/2 ... e_sonette/

Viele Grüße,

Michael
rainermt
Beiträge: 1
Registriert: 7. Mai 2009, 15:55

Re: Frage zu den Sonetten an Orpheus

Beitrag von rainermt »

also ich weise daraufhin, dass ich den Band in seiner Erstausgabe von 1923 gerade bei ebay zur Auktion eingestellt habe (ebay Artikelnummer 170328835840).

das sollte für Rilkefans vielleicht interessant sein!

Gruss
rainermt
Antworten