Unbestimmtes Suchen - Ahnendes Wägen

Rilke-Texte gesucht und gefunden

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Amaryllisa
Beiträge: 4
Registriert: 20. Jan 2009, 13:18

Unbestimmtes Suchen - Ahnendes Wägen

Beitrag von Amaryllisa »

Hallo Rilke-Forum!

Ich suche keine bestimmtes Gedicht - doch wenn ich es finde, dann habe ich genau das gesucht.
Ich weiß nichts Genaues - doch wenn ich es finde, wußte ich, dass es das gab.

Thema: Schönheit Anmut Würde Eleganz Grazie

Aber nicht einzig über Engel, Marien, sondern iridscher.

Mehr in der Art, wenn ein Maler die Schönheit der weiblichen Figur beschreibt.
Mehr, wenn ein Zuschauer die Grazie einer Bewegung einer Tänzerin erlebt.
Mehr, wenn ein Liebender die schlafende Geliebte sieht.

Fällt jemanden dazu etwas ein?
Ich habe bereits kreuz und quer gelesen, aber noch nicht das Gedicht gefunden.
Vielen Dank für jede Anregung!
stilz
Beiträge: 1226
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Re: Unbestimmtes Suchen - Ahnendes Wägen

Beitrag von stilz »

Liebe Amaryllisa,

mir fallen spontan zwei Gedichte ein - aber vielleicht hab ich's auch ganz mißverstanden, was Du ahnend suchst?:
  • Die Erblindende

    Sie saß so wie die anderen beim Tee.
    Mir war zuerst, als ob sie ihre Tasse
    ein wenig anders als die andern fasse.
    Sie lächelte einmal. Es tat fast weh.

    Und als man schließlich sich erhob und sprach
    und langsam und wie es der Zufall brachte
    durch viele Zimmer ging (man sprach und lachte),
    da sah ich sie. Sie ging den andern nach,

    verhalten, so wie eine, welche gleich
    wird singen müssen und vor vielen Leuten;
    auf ihren hellen Augen die sich freuten
    war Licht von außen wie auf einem Teich.

    Sie folgte langsam und sie brauchte lang
    als wäre etwas noch nicht überstiegen;
    und doch: als ob, nach einem Übergang,
    sie nicht mehr gehen würde, sondern fliegen.


    Aus: Neue Gedichte (1907)
und, von anderem Gesichtspunkt aus betrachtet:
  • Natur ist glücklich. Doch in uns begegnen
    sich zuviel Kräfte, die sich wirr bestreiten:
    wer hat ein Frühjahr innen zu bereiten?
    Wer weiß zu scheinen? Wer vermag zu regnen?

    Wem geht ein Wind durchs Herz, unwidersprechlich?
    Wer faßt in sich der Vogelflüge Raum?
    Wer ist zugleich so biegsam und gebrechlich
    wie jeder Zweig an einem jeden Baum?

    Wer stürzt wie Wasser über seine Neigung
    ins unbekannte Glück so rein, so reg?
    Und wer nimmt still und ohne Stolz die Steigung
    und hält sich oben wie ein Wiesenweg?


    Aus: Die Gedichte 1910 bis 1922 (München, Frühjahr 1919)
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Amaryllisa
Beiträge: 4
Registriert: 20. Jan 2009, 13:18

Re: Unbestimmtes Suchen - Ahnendes Wägen

Beitrag von Amaryllisa »

Hallo stilz!

Vielen Dank für die schnelle Antwort.
Leider ist es noch nicht genügend das, was ich suche.

Dabei ist es mir aber konkreter geworden.
Das erste Gedicht trifft besser, jedoch ist es über die Blinde zu speziell. Aber über eine Frau ist gut. Und was sie macht, wie sie sich verhält, auch wie sie aussieht, sich anfühlt, etc.

Am besten ich zitiere mich nochmal:
Mehr in der Art, wenn ein Maler die Schönheit der weiblichen Figur beschreibt.
Mehr, wenn ein Zuschauer die Grazie einer Bewegung einer Tänzerin erlebt.
Mehr, wenn ein Liebender die schlafende Geliebte sieht.

Vielleicht gibt es auch Liebesgedicht, die dafür passen?
Vielleicht fällt jemand noch etwas ein - wenn nicht bei Rilke, bei wem dann?
Harald
Beiträge: 230
Registriert: 28. Dez 2005, 23:47

Re: Unbestimmtes Suchen - Ahnendes Wägen

Beitrag von Harald »

Nicht Rilke, aber hochkarätig:

Erwartung der Liebe

Nicht die vertraute Nähe deiner Stirn, hell wie ein Fest,
noch die Gewohnheit deines Körpers, wiewohl mysteriös und schweigsam und mädchenhaft,
noch die Abfolge deines Lebens, das zu Wörtern oder Schweigen wird,
werden eine so rätselvolle Gunst sein
wie die Betrachtung deines Schlafs, verflochten
in die Wacht meiner Arme.
Wie durch ein Wunder wieder Jungfrau durch die freisprechende Macht des Schlafes,
ruhig und leuchtend wie ein Glück, das das Gedächtnis erwählt hat,
wirst du mir diesen Saum deines Lebens schenken, den du selbst nicht besitzt.
Der Ruhe hingegeben
werde ich diesen letzten Strand deines Seins von fern erblicken,
und dich zum ersten Mal sehen, vielleicht,
wie Gott dich sehen muß,
aufgehoben die Fiktion der Zeit,
ohne die Liebe, ohne mich.

Jorge Luis Borges
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
gliwi
Beiträge: 941
Registriert: 11. Nov 2002, 23:33
Wohnort: Ba-Wü

Re: Unbestimmtes Suchen - Ahnendes Wägen

Beitrag von gliwi »

Habe ich das nicht gestern schon eingestellt? ist das irgendwo in den Tiefen des Netzes verschwunden? :roll:

Spanische Tänzerin


Wie in der Hand ein Schwefelzündholz, weiß,
eh es zur Flamme kommt, nach allen Seiten
zuckende Zungen streckt -: beginnt im Kreis
naher Beschauer hastig, hell und heiß
ihr runder Tanz sich zuckend auszubreiten.

Und plötzlich ist er Flamme, ganz und gar.

Mit einem: Blick entzündet sie ihr Haar
und dreht auf einmal mit gewagter Kunst
ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst,
aus welcher sich, wie Schlangen die erschrecken,
die nackten Arme wach und klappernd strecken.

Und dann: als würde ihr das Feuer knapp,
nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab
sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde
und schaut: da liegt es rasend auf der Erde
und flammt noch immer und ergiebt sich nicht -.
Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen
grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht
Und stampft es aus mit kleinen festen Füßen.

Aus: Neue Gedichte (1907)

Gruß
gliwi

p.s.: Freut mich, Harald, dass du wieder da bist, und auch gleich noch so akiv!
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
Harald
Beiträge: 230
Registriert: 28. Dez 2005, 23:47

Re: Unbestimmtes Suchen - Ahnendes Wägen

Beitrag von Harald »

Freut mich, Harald, dass du wieder da bist, und auch gleich noch so aktiv!
Danke! Hat sich so ergeben.
... und Anfang glänzt / an allen Bruchstelln unseres Mißlingens
Amaryllisa
Beiträge: 4
Registriert: 20. Jan 2009, 13:18

Re: Unbestimmtes Suchen - Ahnendes Wägen

Beitrag von Amaryllisa »

Liebe Leute!

Vielen vielen Dank für Eure Mühe und schöne Gedichte!

Leider habe ich noch nichts für mich gefunden, und werde jetzt bei anderen Dichtern suchen!
Amaryllisa
Beiträge: 4
Registriert: 20. Jan 2009, 13:18

Re: Unbestimmtes Suchen - Ahnendes Wägen

Beitrag von Amaryllisa »

Kurzer Nachtrag - bei Interesse

Konnte - auch nicht 1000%-passendes - bei

http://www.deutsche-liebeslyrik.de/manuskript.htm

finden.
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