Personalstruktur in der 'Ersten Elegie'

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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Tischtennisgott
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Personalstruktur in der 'Ersten Elegie'

Beitrag von Tischtennisgott »

Hallo zusammen,

zur Zeit beschäftige ich mich mit der ersten der Duineser Elegien. Leider habe ich noch keine Interpretation gefunden, die in überzeugender Weise darlegt, was es mit den Personalpronomina auf sich hat: Da gibt es ein "ich", ein "du" und ein "wir"; allein das "man" erscheint mir relativ gut zu deuten. Ich stelle jetzt mal bewusst keine Mutmaßungen an und würde mich über Vorschläge - oder einen Hinweis auf Literatur, die ich vielleicht übersehen habe - sehr freuen. Danke im Voraus!

Viele Grüße,

Michael
stilz
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Re: Personalstruktur in der 'Ersten Elegie'

Beitrag von stilz »

Lieber Michael,

seit Deiner Frage ist einige Zeit vergangen - und ich habe immer wieder darüber nachgedacht, wie ich eine Antwort formulieren könnte (und halb erwartet, daß jemand anderer mir zuvorkommen würde :wink: ) - nun will ich es versuchen.
Es ist nicht ganz einfach, hier ganz klare und eindeutige Auskunft zu geben (als ich Deinen Betreff las, dachte ich zunächst an die Wirtschaftskrise und überlegte mir vage, ob Du etwa an "Personalabbau" in Rilkes Elegien denkst :wink: ).

Im ersten Teil scheint es noch ziemlich übersichtlich zu sein:
Das "lyrische Ich" spricht, ein Mensch, der sich Fragen stellt ("Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel/Ordnungen?"), der in ein "Wir" ("Ach, wen vermögen/wir denn zu brauchen?") eingebettet ist, das alle Menschen meint, denen es genau so geht - im Gegensatz zum "Engel" .

Und dann taucht ein "Du" auf: "Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl."
Wer ist dieses "Du"?
Es ist nicht, wie man vielleicht erwarten würde, ein anderer Mensch, mit dem das "Ich" nun Zwiesprache hält. Sondern das "Ich" stellt sich sozusagen sich selber gegenüber: es gibt nun ein "Ich", das einen "höheren" Standpunkt einnimmt, ein "Ich", das das, was im ersten Teil "ich" war und unter seinen "Unzulänglichkeiten" zu leiden hatte, nun mit "du" anspricht und in einem größeren (Rilke würde sagen: im größesten :wink: ) Zusammenhang sieht. Denn die Fragen des ersten Teils können ohne diesen "andern Bezug" keine Antwort erhalten (vgl. Neunte Elegie: "Ach, in den andern Bezug,/wehe, was nimmt man hinüber?")...

Am Ende dieses zweiten Teils heißt es, im Zusammenhang mit Gaspara Stampa, "...daß irgend ein Mädchen,/... fühlt: daß ich würde wie sie?" - Dieses "ich" meint das "Mädchen" und hat eigentlich nichts mit dem "Ich" des Gedichtes zu tun.
Und dennoch: für mich ist das Aussprechen dieses unscheinbaren Wörtleins, "ich", der Anlaß dafür, daß das "größere Ich" sich bewußt wird: auch in größerem Zusammenhang ist es ein "Ich", eingebettet in ein "Wir".
Und es entsteht die Frage: "Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen/fruchtbarer werden?"

Zu Beginn des nächsten Teiles gibt es eine direkte Anrede - dadurch wird es ganz klar, wer hier mit "du" gemeint ist: "Höre, mein Herz..."
Das eigene Herz ist es, das die "ununterbrochene Nachricht" der "jungen Toten" hören, wahrnehmen, empfangen kann...
Und dann: "Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts/Anschein abtun, der ihrer Geister/reine Bewegung manchmal ein wenig behindert."
Mit diesem "ich" ist wohl all das im Menschen gemeint, das die "Nachricht der Toten" daran hindern, oder zumindest "ein wenig behindern" kann, im Herzen anzukommen...

Im nächsten Abschnitt ist von den Toten die Rede. Und sie sind nicht "ich" oder "wir", sondern sie werden mit dem unpersönlichen "man" bezeichnet (Allerdings: es gibt in einem kleinen Einschub auch noch ein anderes "man": "Engel (sagt man) wüßten oft nicht..." - da bezeichnet "man" wohl nicht die Toten, sondern vielleicht: alle, die jemals etwas darüber gesagt haben?).

Im letzten Teil schließlich wird sehr deutlich: "sie" - das sind die Toten. Im Gegensatz dazu bezeichnet "wir" die Lebendigen. Alle im Moment hier im "Irdischen" lebenden Menschen.


Soweit mein Antwortversuch.
Ich danke Dir für Deine Frage. Ich finde es sehr sinnvoll, sich der ersten Elegie von dieser Seite aus zu nähern.

Lieben Gruß!

Ingrid
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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