Vermischtes von "Georg Trakl jun"

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Georg Trakl
Beiträge: 40
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Re: Ur-Geräusch - Italienisch-Übersetzung gesucht

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
dieser Übersetzungsvorschlag erschien ursprünglich hier
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Wie wär's mit: scorregia primigenio gigante

Beispielhaft so von Alighieri gebraucht:
Sonora come un peto d'imperatore, peto che tutti fanno finta... di non aver sentito.
Georg Trakl
Beiträge: 40
Registriert: 30. Jan 2005, 17:30

Re: Sunamitismus

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
Diese erhellende Zusammenfassung erschien ursprünglich in diesem Zusammenhang
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Falls es in dieser Suada über den Sunamitismus noch nicht besprochen wurde (meine Geduld reichte nicht aus, um allen Mutmaßungen und Gegendarstellungen zu folgen): Das Verbum "erkennen" bedeutet in der verschwurbelten Sprache biblischer Autoren das Beilager.
"Sie traktierte die sich zu Boden neigende davidsche Rute, doch er erkannte sie nicht" - bedeutet also nichts anderes als die vergebliche Bemühung, den herrschaftlichen Phallus per penetrationem in das noch undeflorierte Ziel Abisags Begierde zu applizieren. Sei es, dass er nicht in der Lage dazu war oder aber gar nicht sein wollte. Das müssen wir dahingestellt lassen.

Verräterisch zumindest dieser Absatz:

Aber sie hielt sich an dem dunkeln (?) Alten (sic!)
und, von der Nacht der Nächte (sic!) nicht erreicht (aha!),
lag sie auf seinem fürstlichen Erkalten (sic!)
jungfräulich (sic!) und wie eine Seele leicht.
[Zitat Rilke]
Georg Trakl
Beiträge: 40
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Re: Imaginärer Lebenslauf

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
Diese eigenwillige Antwort erschien ursprünglich hier
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Bei den diversen - wie Sie, Kesselbaum, es nennen "Abschiedsfeiern" (beim ersten Lesen verunsichert das später verwendete Adjektivum "heiter") hat sich in unserem Institut beim Kommers zur Emeritierung Alter Herren folgender Einleitungssatz bewährt:
"Am Anfang schuf [Akad. Grad / N.N.] Himmel und Erde.
Bei seinen Vorlesungen war das Auditorium meist öd und leer.
Und er sah, dass das gar nicht gut war."
Hier setzt meist schon Gelächter ein. In der Folge werden noch etwa 20 Zeilen mit den persönlichen Marotten und Vorzügen des Abzufertigenden angehängt. Diese Vorgangsweise hat ein gerüttelt Maß an Belustigung bei den Anwesenden, nicht immer jedoch beim Scheidenden, hervorgebracht.
Bei Trauerfeiern würde ich jedenfalls zu besinnlicheren Texten raten und den Humor weglassen. Da werden Sie sicherlich bei Rilkes melancholischem Werk fündig, Kesselbaum. Und ja: besser Sie stolpern über den letzten Teil Ihrer imaginierten Vita als über die zu verabschiedende "junge Kollegin" ...
Georg Trakl
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Re: brief gesucht mit zitat mein inneres gärtnern war herrlich

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
Dieser originelle Beitrag erschien ursprünglich in diesem Zusammenhang
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Mein inneres Gärtnern war herrlich diesen Winter. Das plötzlich wieder heile Bewusstsein meiner tief bestellten Erde ergab mir eine große Jahreszeit des Geistes und eine lange nicht mehr gekannte Stärke des Herzstrahls. Ich setzte mich und dilettierte in meiner Klause so vor mich hin, während das Glimmen des Kanonenofens wohlige Wärme im Raum verbreitete. Ach, was taten da die Gedanken an verschneite Gartenlandschaften gut, man musste ja nicht draussen sein. Kinder warfen Schneebälle ans mit Eisblumen überzogene Stubenfenster, und ein struppiger Hund jagte eine Katze über die verschneite Gasse. Ob sie wohl überlebt, fragte ich mich. Es schneite in Strömen. Ich nahm einen Schluck aus der Flasche mit dem Selbstgebrannten und fand in einem alten, vergilbten Folianten dieses seltsame Gedicht. Stammt es von Meister Rilke? Oder war mein Vorfahre der Autor? Aber vielleicht auch Hö... Ich weiß es nicht mehr ... der Dreifachgebrannte ...

Winterkirschen
In Silberrücken eingeschleiert
Steht jetzt der Baum,
Und strecket seinen nackten Podex
Dem Himmel zu.
Wo jüngst das reife Gold des Fruchtbaums
Geblinket, hängt
Jetzt Eis herab, das keine Sonne
Zerschmelzen kann.
Entblättert steht die Rebenlaube,
Die mich in Nacht
Verschloß, wenn Phoebus flammenatmend
Herniedersah.
Das Blumenbeet, wo Florens Töchter
In Morgenrot gekleidet,
Wohlgeruch verhauchten,
Versinkt in Schnee.
Nur du, mein kleiner Buchsbaum, pflanzest
Dein grünes Haupt
Dem Frost entgegen und verhöhnest
Des Winters Macht.
Mit Bierschaum überzogen, funkelst
Du an der Brust
Des Mädchens, das die Dorfschalmeie
Zum Tanze ruft.
Ruh' sanft, mein Garten, bis der Frühling
Zur Erde sinkt,
Und Winterkirschen auf die Wipfel
Der Bäume streut.
Dann gaukelt Zephyr in den Blüten,
Und küsset sie,
Und weht mir mit den Düften
Freude in meine Brust.
Georg Trakl
Beiträge: 40
Registriert: 30. Jan 2005, 17:30

Re: Rainer Maria Rilke "Herbst" 1902

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
Dieser Beitrag erschien ursprünglich als Antwort hier
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Mein lieber Moritz,
das von dir angefragte Gedicht stammt von Rainer M. Rilke, und die darin angesprochene Jahreszeit "Herbst" bildet den Zeitraum zwischen Sommer und Winter ab. Also von etwa Ende September bis zum späten Dezember (Spätherbst).
Das Wort Herbst hat sprachgeschichtlich denselben Ursprung wie das englische Wort harvest "Ernte(zeit)", lat. carpere "pflücken" und griech. karpós "Frucht, Ertrag", ferner litauisch kirpti "schneiden", griechisch krōpíon "Sichel". Ursprünglich bedeutete das Wort Herbst also „Erntezeit“. Diese landwirtschaftliche Bedeutung blieb im Englischen erhalten, während sie sich im Deutschen zur allgemeinen Bezeichnung der Jahreszeit verschob. Im südwestdeutschen Sprachraum lebt die ursprüngliche Wortbedeutung als Dialekt- bzw. Fachausdruck für die (Wein)lese fort: diese Tätigkeit wird dort verbreitet mit "herbsten" bezeichnet. Im gleichen Gebiet heißt die Jahreszeit Spätjahr (als Spiegelform von Frühjahr).
Die Jahreszahl 1902 hat Rainer Rilke wohl deshalb hinzugefügt, da dieses Poem in seiner mittleren Schaffensperiode (1902 bis 1910) entstanden ist und wohl eine Momentaufnahme des Seelenzustands unseres Meisters darstellt. Nachdem seine Frau ihm Ende 1901 eine Tochter "untergejubelt" hatte, zog Rilke es vor, nach Paris zu flüchten, und er kümmerte sich dort häufiger um Rodin (einen Bildhauer) als um seine im provinziellen Worpswede zurück gelassene Familie. Ja, Familienmensch war er nie ... Aber auch von Rodin hatte er bald genug, und so wandte er sich mit dem Maler Cézanne einem weiteren Protagonisten der bildenden Kunst zu (man beachte Rilkens auffallende Affinität zur darstellenden Kunst als Vertreter der schreibenden Zunft). Im Jahre 1905 verschaffte sich Rilke dennoch eine Anstellung bei Rodin, der ihm gleichzeitig - zur Wiedergutmachung quasi - als idealisierte Vaterfigur (ob hier auch mögliche homoerotische Neigungen mitspielten ist in der Fachwelt durchaus umstritten) dienen sollte. Das Dienstverhältnis beendete Rodin im Mai 1906 aus nicht näher bekannten Gründen jedenfalls abrupt. Ob eine Abfindung ausbezahlt wurde, ist nicht bekannt und beschäftigt internationale Arbeitsrechtler bis zum heutigen Tage.
Ich hoffe, mit meinem bescheidenen Beitrag dir, lieber Moritz, eine kleine Hilfestellung geleistet zu haben und wünsche dir alles Gute für deine Präsentation!

Herzlich, Georg Trakl jun.
Georg Trakl
Beiträge: 40
Registriert: 30. Jan 2005, 17:30

Re: Franziskus in Muzot

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in diesem Zusammenhang
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Hallo Barbara,
meinst du den hier? Bitte gerne!

Bild

In der Hoffnung, gedient zu haben!
Herzlich, G. Trakl jun
Georg Trakl
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Re: Die Näherin

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
Dieses posting erschien ursprünglich als „Antwort“ auf diesen Beitrag Haralds
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Nun ja, mein lieber Harald, man sollte die Sache mit der "Näherin" nicht ganz so heruntermachen, sondern die Hintergründe erhellen, die zu diesem Poem geführt haben. Im Jahre 1915 - also mitten im ersten großen Kriege - hatte Rilke bekanntermaßen eine Affaire mit Lou Albert-Lasard, einer bildenden Künstlerin. Im Zuge einer stürmischen Techtelmechtels passierte ein Mißgeschick: Louise ging wohl etwas stürmisch "zur Sache", und ehe noch Rilke sich seines Beinkleids entledigen konnte, entstand im Bereiche des "Eingriffs" ein größerer Riss, welcher mit einfachen Mitteln nicht zu beheben war, zumal Nähzeug im Haushalte des Literaten nicht vorhanden war. Doch Rilke wußte sich zu helfen, befand sich doch in seinem Münchener Bekanntenkreis eine Näherin, mit welcher er kurzzeitig ein erotisches Verhältnis gepflegt hatte. Dieser übergab er nun die Hose, und die Näherin erledigte das peinliche Malheur mit großer Diskretion, aber auch spitzen Bemerkungen. Als Gegenleistung forderte sie jedoch keine Zuwendung pekuniärer Natur, sondern bestand darauf, dass Rilke ihr ein literarisches Denkmal setze. Also war dieser gezwungen, wider seinen Willen ein Opus zu verfassen, das einerseits den Wunsch der Näherin erfüllen, andererseits jedoch nicht den rilketypischen Sprachduktus aufweisen solle. Dieser Spagat gelang Rilke - wie hier in anderen Postings schon festgestellt, in hervorragender Weise. Ein wahrer Meister eben ...

Gruß, G. Trakl jun.
Georg Trakl
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Registriert: 30. Jan 2005, 17:30

Re: Requiem für Wolf Graf von Kalckreuth

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
Dieses posting erschien ursprünglich als „Antwort“ in diesem Zusammenhang
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Um die historische Figur des Wolf von Kalkreuth ranken sich so mancherlei Legenden. So soll er bereits in seinen jungen Jahren nach der Lektüre von Baudelaires "Les Fleurs du Mal" den Hang verspürt haben, dieses epochale Werk ins Ungarische zu übersetzen. Da ihn jedoch sein Vater, Leopold von Kalkreuth, darauf hinwies, daß man zunächst einmal des Ungarischen mächtig sein müsse, um ein solches Werk sinnhaft zu erbringen, dachte der Knabe um und übersetzte das Werk unter dem Arbeitstitel "Blumen des Bösen" eben ins Deutsche (später wurde diese seine Fassung allerdings auf Widerspruch von Theodore de Banville verworfen und durch eine zeitgerechtere von Friedhelm Kemp ersetzt). Wolf von Kalkreuth versuchte sich in der Folge - quasi als Adept des von ihm vergötterten Rilke, zumindest imaginierte er es so - als Lyriker, wobei sein Oevre zwischen Kriegslüsternheit und Todessehnsucht schwankte und deshalb niemals von der breiten Schicht der Bevölkerung angenommen werden konnte, welcher Umstand unseren Helden immer öfter in heftige Gemütsdepressionen stürzte. Seines Scheiterns als Poet gewahr, entzog der junge Graf sich der Dichterlaufbahn und trat ins preußische Heer ein, um später einmal im Waffenrock des Kürassiers die standesgemäße Offizierslaufbahn einzuschlagen. Doch auch dieser Versuch, seinem Leben eine sinnhafte Wendung zu geben, mißlang, und so beschloss Wolf kurzerhand, sein - wie er annahm - unbotmäßiges Dasein für immer zu beenden. Sein suizidales Ende erschütterte jedoch in unerwartetem Maße die Bohème jener Zeit, sodaß auch Rilke sich genötigt sah, dem unglücklichen Grafen in seinem Poem "Requiem für Wolf Graf von Kalkreuth" ein postumes Denkmal zu setzen. Weitgehend unbekannt ist der Umstand, dass Rilke später ein weiteres Gedicht über Wolf von Kalkreuth verfasste, welches in den "Wuertthemberg'schen Illustrirten Morgenblaettern" vom 11. Januar 1908 erschien. Um es für die Nachwelt zu erhalten, stelle ich das Gedicht hier mit Erlaubnis des Herausgebers ein.
Übrigens: Beachtenswert für den historisch Beleckten ist auch, dass Rilke hier beiläufig den Terminus "Schuss" verwendet! Ein Hinweis auf die genaue Art der Selbstentleibung des Wolf von Kalkreuth, bislang stets im Dunkel der Literaturwissenschaft geblieben?

Düster die Nebel sich senken
Auf finstre schäumende Gischt,
Auf seinem Nachen stehet
Charon mit bleichem Gesicht.
Hol über! So ruft es von drüben,
Graf Kalkreuth ist's, der da spricht,
Und der Fährmann kommt ihn zu holen
Und achtet der Wogen nicht.
Überqueret den Styx nun sachte
Und ruhig gleitet der Kahn,
Am Ufer da wartet Von Kalkreuth,
gefesselt in seinem Wahn.
Vom Kriege gezeichnet - so steht er,
Den Geist vom Gescheh'nen verwirrt,
Bestellt hat er grade sein Haus noch,
Bevor er zum Flusse geirrt ...
Ein Schuss, dann schweigende Stille,
Sein Leben: ein kurzer Traum.
Sanft gleitet des Fährmanns Zille
dem Ziel zu durch Gischt und Schaum.

Es erschien mir Verpflichtung, dieses längst verschollene Werk unseres großen Meisters den geneigten RilkeanerInnen hier im Forum öffentlich zu machen.
Georg Trakl jun.
stilz
Beiträge: 1226
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Vermischtes von "Georg Trakl jun"

Beitrag von stilz »

In diesem thread habe ich verschiedene Beiträge unseres originellen Forumsmitglieds "Georg Trakl jun" bzw "Georg Trakl" zusammengestellt.
(Wird fortgesetzt.)

Viel Vergnügen bei der Lektüre!
stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Georg Trakl
Beiträge: 40
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Re: Über Kunst - brauche Quelle

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
Diese „musterhaft originellen“ Ausführungen erschienen ursprünglich in diesem thread.
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Mein lieber Woyzeck!
In der in neugotischer Schrift gedruckten Erstauflage der Rilkeschen Werke (Voggenreiter Verlag, Dresden-Breslau) aus 1910 befand sich auch ein Pamphlet mit dem Titel "Genius oder Handwerk - Über die Kunst im Allgemeinen und die Bedeutung künstlerischer Rezeption durch Genies im Besonderen im Lichte der Aufklärung". Auf Anregung etlicher damals einflussreicher Wissenschafter (vielleicht aber auch wegen der Länge des Titels) wurde dieser Text allerdings als "oberflächlicher Sermon" gebrandmarkt und aus diesem Grunde nicht mehr in spätere Auflagen des Gesamtwerks aufgenommen. Ferner bezichtigten intellektuelle Kreise Rilke hier "unbotmäßiger Nähe zu Kant'schen Theoremen", wie seinerzeit ein weiterer Vorwurf lautete. In interessierten Kreisen findet sich jedoch noch da und dort ein vergilbtes Exemplar der Erstausgabe, und da ich annehme, dass es sich bei dem angesprochenen Text um den von Ihnen gesuchten handelt, möchte ich Ihnen, Allerwertester, aus diesem hier im Originalwortlaut, wie er von unserem Großmeister seinerzeit zu Papier gebracht wurde, auszugsweise zitieren:

Nach diesen Voraussetzungen ist Genie die musterhafte Originalität der Naturgabe von Subjekten im freien Gebrauche seiner Erkenntnisvermögen. Sie geben gerne ihren verdorrten Sinn auf, um unser schweres Sehnen zu ertragen. Auf solche Weise ist das Produkt eines künstlerischen Genies (nach demjenigen, was in demselben dem originären Genie, nicht der möglichen Erlernung oder der Schule oder einer Anstalt der Herzensbildung, zuzuschreiben ist) ein Beispiel nicht der Nachahmung (denn da würde das, was daran Genie ist oder Genius sein sollte und den Geist des Werkes ausmacht, verloren gehen), sondern der Nachfolge für ein anderes Genie, welches dadurch zum Gefühle seiner eigenen Originalität aufgewecket wird. Ja, es ist wahr - alle Dinge begehren Kunst auf unklare Weise. Zwangsfreiheit von Regeln so in der Kunst auszuüben, daß diese dadurch selbst eine neue Regel bekommt, wodurch das Talent sich als musterhaft recte mustergültig zeigt. Weil aber der Künstler eigentlich ein Günstling der Natur ist, desgleichen man nur als seltene Erscheinung sowohl in geistiger als auch körperlicher Anmutung anzusehen hat: so bringt sein Beispiel für andere solcher Köpfe ein Lehrwerk hervor, eine methodische Unterweisung nach Regeln sozusagen, soweit man sie aus jenen Geistesprodukten und ihrer Eigenthümlichkeit hat ziehen können: und für diese ist die schöne Kunst sofern Nachahmung, der die Natur durch ein Genie die Regel gab.

Ich hoffe, Ihnen, lieber Woyzeck, eine Hilfestellung zu Ihrem Herzensanliegen gegeben zu haben, und sende Grüße ins winterliche Krakau!
Georg Trakl jun.
Georg Trakl
Beiträge: 40
Registriert: 30. Jan 2005, 17:30

Re: Lieder der Mädchen

Beitrag von Georg Trakl »

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Anmerkung der Moderatorin:
Diese erhellenden Ausführungen erschienen ursprünglich als Antwort auf diese Anfrage.

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In "Auerbach's Kinder-Kalender" aus dem Jahre 1913 erschien eine kritische Betrachtung zu Teilen von Rilkens "Lieder der Mädchen". Als Verfasser dieser Betrachtung firmiert ein gewisser Eustach von Groninghaus, Konsistorialrat zu Iserlohn (Deutschland). Aus dieser seiner Betrachtung ergibt sich, dass es sich beim angezogenen Text keinesfalls um ein harmloses Gedichtchen zum Alltagsgebrauche handelt, wie man beim ersten Darüberlesen vermuten könnte, sondern sich Rilke darin (wie von mir bereits an anderer Stelle ausgeführt) wieder mal seiner Obsession als heimlicher - kein Wunder in jenen prüden Tagen - jedoch durchaus detailverliebter Erotomane hingab. Abgesehen vom eindeutigen Originaltitel (später geändert) "Liederliche Mädchen" geht's laut Groninghaus bis zur fünften Strophe ja noch gemäßigt und eindeutig dahin, wie man es von Rilke gewohnt ist, ab Strophe 6 [nomen est omen] jedoch galoppiert die Phantasie mit ihm fort, Wogen der Lust übermannen ihn, Phantasiegebilde von "bemoosten Gärten", "lichten [recte leichten?] Mädchen" und Hemmnisse aufgrund altersschwacher "Glieder" [sogar im Plural!] überkommen unseren Lyriker, aber ab der neunten Strophe des Gedichts ist seltsamerweise die Verständlichkeit wieder gegeben, und auch der erotische Hautgout wurde wieder zurückgenommen. Hat hier irgendwann irgend eine Befriedigung des Verfassers, falls ja, in welcher Form stattgefunden? Autoerotik gar? Oder hat an den "anrüchigen" Stellen eine fremde Hand den Griffel geführt? Wir wissen es nicht! Jedenfalls deutet die spärliche Rezeption der damaligen Medien zu den "Mädchen" darauf hin, dass sich die Redaktion des Kalenders nicht entschließen konnte, eine kindgerechte Deutung dazu abzudrucken, da andererseits eine Beschlagnahme des Druckwerks durchaus im Bereiche des Möglichen schien. Dies wollte Herausgeber August Berthold Auerbach auf alle Fälle vermeiden, um sich nicht den heiligen Zorn der "Kunst-Schutztruppe", welche damals bekanntlich unter der Leitung des frömmelnden Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika, Heinrich Schnee, auf den zusätzlich Druck vonseiten Lettow-Vorbecks ausgeübt wurde, stand, zuzuziehen; handelt es sich bei diesen Absätzen doch um Zweideutigkeiten beinahe 2 Gedankengutes, die seinerzeit jeder "Entschärfung" trotzten, GrundschülerInnen heute aber nur ein müdes Lächeln, verbunden mit mildem Kennerblick ins Gesicht zaubern würden. Erst Egon Wellesz wagte sich später an eine Vertonung der "Lieder der Mädchen", wobei er die zweideutigen Textstellen sicherheitshalber durch laute Orchestrierung übertönte und damit unverständlich machte. Trotz [oder vielleicht gerade wegen] dieses Kunstgriffs war dem Werke kein durchschlagender Erfolg beschieden. Eigentlich schade!
Hinzufügen möchte ich, dass ich die Einschätzung Groninghaus' nicht in jedem Falle teile, sondern diese Ihnen, Massei, einfach nur wertfrei als Diskussionsgrundlage für Ihren Unterricht zukommen lassen wollte. Ich hoffe, dass der eine oder andere Satz des Poems damit endlich für Sie dem Dunkel der Deutungshoheit entglitt, und mir bleibt nur übrig, die besten Wünsche für weitere segensreiche Vermittlung unserer geliebten deutschen Sprache an Ihr hoffentlich aufmerksames Auditorium anzuschließen. Ad multos annos!

Georg Trakl jun.
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