"Ja, Hofmannsthal!"

Moderatoren: Thilo, stilz

Antworten
sedna
Beiträge: 368
Registriert: 3. Mai 2010, 14:15
Wohnort: Preußisch Sibirien

"Ja, Hofmannsthal!"

Beitrag von sedna »

... und Rilke und die Zeit ...

Als ich vor kurzem einmal noch gliwis Rat suchte, erreichte mich dieser begeisterte Ausruf über Hofmannsthals "Terzinen über Vergänglichkeit" -- diese hier noch einmal vollständig (erstgedruckt in Blätter für die Kunst, März 1896):

Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?

Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt.

Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.

Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,

So eins mit mir als wie mein eignes Haar.



1907 liest Rilke einen "merkwürdigen, ganz unheimlich hellseherischen Vortrag Hugo von Hofmannsthals über: den Dichter und diese Zeit" ... Darin heißt es an einer Stelle:

Wer zu lesen versteht, liest gläubig. Denn er ruht mit ganzer Seele in der Vision. Er läßt nichts von sich draußen. Für einen bezauberten Augenblick ist ihm alles gleich nah, alles gleich fern: denn er fühlt zu allem einen Bezug. Er hat nichts an die Vergangenheit verloren, nichts hat ihm die Zukunft zu bringen. Er ist für einen bezauberten Augenblick der Überwinder der Zeit. Wo er ist, ist alles bei ihm und alles von jedem Zwiespalt erlöst. Das einzelne ist ihm für vieles: denn er sieht es symbolhaft, ja das eine ist ihm für alles, und er ist glücklich ohne den Stachel der Hoffnung. Er vergißt sich nicht, er hat sich ganz, diesen einzigen Augenblick: er ist sich selber gleich.


Diese Zeit ... als wär sie kaum vergangen.
Und das Forum nun schon seit einigen Tagen in Christianes sechstem Todesjahr, woran ich hiermit erinnern möchte.

sedna
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
stilz
Beiträge: 1226
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Re: "Ja, Hofmannsthal!"

Beitrag von stilz »

Liebe sedna,

vielen Dank für diese Erinnerung, und auch für Rilkes Betrachtungen über die Zeitlosigkeit.
(Ich lese sie verspätet - der Sommer ist für mich immer eine Zeit, in der ich viel unterwegs und ohne Computer bin.)

Mit Freude habe vorhin den ganzen thread durchgelesen, mich gewundert, daß ich selbst nichts zu Hofmannsthals Terzinen gesagt hatte (es war nämlich damals noch gar nicht lange her, daß ich sie gesungen hatte, in einer Vertonung von Akos Banlaky. Wunderbar!) – und mich dabei in die Zeiten zurückversetzt gefühlt, als hier noch viele Menschen ihre Eindrücke zusammentrugen...
Wie schön, daß es diese Zeiten gegeben hat!

Ein Gedicht fehlte übrigens noch in der Sammlung: Herr: es ist Zeit.

Der Sommer dieses Forums war sehr groß...

Herzlichen Gruß,
stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
sedna
Beiträge: 368
Registriert: 3. Mai 2010, 14:15
Wohnort: Preußisch Sibirien

Re: "Ja, Hofmannsthal!"

Beitrag von sedna »

Ja, liebe stilz,
der Zeit-Faden zeigt nun auch schlicht und ergreifend zugleich, weshalb unser Forum nicht mehr zeitgemäß, dies jedoch kein Grund zur Beunruhigung ist.

Christiane, auf die melancholisch philosophische Frage an Rilke Leser von Paul A.:
gliwi hat geschrieben:Rilke ist nicht mein "Lieblingsdichter", ich mag Benn, Brecht, Eichendorff, Hofmannsthal u.a. genauso gern, aber keiner von denen hat, glaube ich, so ein gutes Forum.
Als Baum hätte es wohl eine Herzwurzel ausgebildet und Rilke täte daran Herzwurzelwerk ... hier und da immer weiter
herzlich grüßend
sedna
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
Antworten