Seite 2 von 2

Re: Persönliche Gedanken zum großen Dichter

Verfasst: 31. Dez 2018, 20:19
von Birkenglimmer
Ich fand die Diskussion auch sehr interessant. Ich finde erwähnenswert, dass Holger Zen angesprochen hat. Ich meditiere selber, früher Shikantaza nach Soto-Zen Art, heute eher Samatha-Vipassana. Jedenfalls ist empfinde ich Rilkes Gedicht "Atmen" tatsächlich wunderbar harmonierend mit Zen, aber eher auf die Weise, die Ingrid angedeutet hat.

Zen ist eine sehr nüchterne Sache. Eine erdige Sache. Sehr konkret. In einem Zen Kloster wird nicht nur viel gesessen, d.h. meditiert, sondern auch konsistent und hart körperlich gearbeitet. Es gibt sogar ein Soto-Zen Kloster in Japan mit dem Namen Antaiji, das von einem deutschen Abt geführt wird und genau eine solche, rohe, wirklichkeitsdurchtränkte Art von Zen praktiziert.

Das Gedicht von Rilke erinnert mich zudem an die Beschreibungen von "Shunryū Suzuki", ebenfalls ein Zen-Mönch, in seinem Buch "Zen Mind, Beginners Mind". V.a. die Art und Weise wie er dort eben das Atmen mit der Metapher einer Schwingtür beschreibt.
Ich stimmte doch aber Ingrid zu, dass hier eine Verbindung zu Quantenphysik nicht nötig oder auch nur ersichtlich ist. Ich kenne diese Sehnsucht des Verstandes schwer begreifbare Konzepte wie das der Quantenphysik vereinnahmen, erhöhen und verballhornen zu wollen. Es wird hier leider was die Interpretation angeht auch viel Schindluder betrieben, was dann eben oft in nett klingenden aber letztlich bedeutungsleeren und kraftlosen Ideenhüllen wie "Alles ist Geist", "Alles ist eins" usw. münden kann.

Teilweise sind die in "esoterischen Zirkeln" (Deepak Chopra & Co.) kursierenden Interpretationen von Quantenphysik auch schlicht und ergreifend wissenschaftlich falsch. Z.B. ist es zwar durchaus so, dass die Messung auf Quantenebene das Objekt, also z.B. ein Elektron, beeinflusst. Das liegt aber nicht am "Geist", der die Welt erschafft, sondern daran, dass zur Messung eben das Objekt manipuliert werden muss, was seine Eigenschaften ändert. Diese Manipulierung findet aber statt, egal ob ein Mensch das sieht oder nicht. Zudem sind viele der Quantenphänomene eben de facto auf die Quantenwelt beschränkt und in der Makro-Welt nicht anzutreffen. Das aber nur nebenbei.

Die Parallele von Zen zu Rilke sehe ich aber jedenfalls tatsächlich. Weniger wegen Buddha oder Erleuchtungserfahrungen, sondern eher wegen der Art und Weise wie Wirklichkeit aufgefasst, beobachtet, verdaut und durchlebt wird. Die Dinge um uns herum, Alltägliches: Das Atmen, eine Hand, Schlafen, Ruhen, Gehen, Essen, eine Rose werden nicht enthoben oder verklärt sondern intensiv beobachtet und durchfühlt. Es findet dann tatsächlich eine Entrückung statt, aber nicht in den Äther oder eine Geisteswelt, sondern im Gegenteil hinab ins noch immer Tiefere und Konkrete.