WARUM RILKE??

Moderatoren: Thilo, stilz

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Lilly
Beiträge: 2
Registriert: 6. Apr 2008, 17:52

WARUM RILKE??

Beitrag von Lilly »

Ok,,ein zweiter Versuch..
Ihr seid alle Rilke Fans, sonst wärt ihr wohl nicht in diesem Forum...
Die meisten von euch schwärmen von Rilke, seinem Leben, seinen Werken in den höchsten Tönen hier...
TROTZDEM wird für mich nicht deutlich was ihn für die meisten von euch so besonders macht (ist es sein Schreibstil, die Thematik, ZUFALL?).
..daher meine dringende Bitte: Teilt mir mit, was euch an Rilke so gefällt! Warum seid ihr in diesem "Rilke Forum" und nicht in irgendeinem "Goethe Forum"?

..dass sollte doch leicht zu beantworten sein..:)

Vielen Dank schonmal!:)
gliwi
Beiträge: 941
Registriert: 11. Nov 2002, 23:33
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Re: WARUM RILKE??

Beitrag von gliwi »

Meine liebe Lilly,
drängeln nützt hier gar nichts, da sind wir stur. Und Abiturthema ist Rilke höchstens in einem Bundesland. :wink:
Wir haben zwar in unseren Listen die stolze Zahl von nahezu 1000 Nutzern, aber mindestens 950 davon sind sogenannte "Eintagsfliegen" oder Leute, die schon Jahre nicht mehr reingeschaut haben. Der "harte Kern" sind ca. ein dutzend Leute, davon die meisten in der Altersklasse, wo man sich nicht mit hey begrüßt.
Was mich angeht, so hat nicht das Interesse an Rilke mich in das Forum geführt, sondern das Forum hat bei mir das Interesse an Rilke mächtig angefacht. Ich bin auf der Suche nach einem bestimmten Rilke-Gedicht im Forum gelandet, und da hat es mir so gefallen, dass ich mich zum Bleiben eingerichtet habe und inzwischen sogar Admin geworden bin. Ich habe gelegentlich auch Foren anderer Dichter besucht, aber da hat mich keines so angesprochen. Dabei ist Rilke nicht mal mein "Lieblingsdichter". Aber ich schätze ihn schon sehr und zumindest gehören einige seiner Gedichte zu meinen "Lieblingsgedichten".
Wenn es dann -hoffentlich - noch ein paar Antworten gegeben hat, putze ich den Doppelpost wieder raus - oder du machst es selbst.
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
Lilly
Beiträge: 2
Registriert: 6. Apr 2008, 17:52

Re: WARUM RILKE??

Beitrag von Lilly »

danke...:)
stilz
Beiträge: 1226
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Re: WARUM RILKE??

Beitrag von stilz »

Lilly hat geschrieben:Ihr seid alle Rilke Fans, sonst wärt ihr wohl nicht in diesem Forum...
Die meisten von euch schwärmen von Rilke, seinem Leben, seinen Werken in den höchsten Tönen hier...
:lol: :lol: :lol:

Liebe Lilly,

also, als "Rilke Fans" würden sich, da bin ich sicher!, nur ganz wenige Teilnehmer dieses Forums bezeichnen.

Und mir zumindest geht es auch überhaupt nicht darum, von Rilkes Leben oder seinen Werken zu "schwärmen"...
Dennoch bin ich immer wieder hier in diesem Forum...

WARUM RILKE??, fragst Du. Eine Frage, die hier schon ein paarmal gestellt wurde, ohne daß ich bisher etwas dazu geschrieben habe. Ich will's jetzt also endlich versuchen.

Eines Tages schickte mir ein geliebter Freund mein erstes Rilke-Gedicht:
  • Das ist mein Streit:
    Sehnsuchtgeweiht
    durch alle Tage schweifen.
    Dann, stark und breit,
    mit tausend Wurzelstreifen
    tief in das Leben greifen -
    und durch das Leid
    weit aus dem Leben reifen,
    weit aus der Zeit!
So begann meine Bekanntschaft mit diesem Dichter.

Zunächst staunend – nur zwei Reime im ganzen Gedicht, und auch die klingen ganz ähnlich… ob er wohl eine Liste aller ihm bekannten „ei-Wörter“ gemacht und dann versucht hat, sie irgendwie zu halbwegs sinnvollen Sätzen zu verarbeiten?

Und dann las ich es noch einmal und versuchte, nicht nur das „ei“ zu sehen…
Dabei ergab sich noch mehr Staunenswertes:

„Streit“ einmal nicht als unversöhnliche und vielleicht lautstarke Meinungsverschiedenheit, sondern als Bezeichnung eines Zieles, als das, wofür man streiten würde…
„Sehnsucht“ nicht als etwas, das, wenn es auftritt, vor allem gestillt werden möchte, sondern als etwas, dem man sich „weihen“ kann…
Und was für ein Gedanke, daß man nicht nur, wie viele Kinder es sagen, groß und stark sein wollen könnte, sondern „stark und breit“ … diese Breite kommt wohl daher, daß man nicht bloß eine Wurzel, sondern „tausend Wurzelstreifen“ hat, mit denen man „tief in das Leben greifen“ kann…
Und „Leid“ ist also nicht etwas Unangenehmes, das man am liebsten vermeiden will, sondern etwas, das einen „reifen“ läßt…
Und „Reife“ bedeutet nicht, daß man irgendwann in diesem Leben begriffen hat, was es zu begreifen gibt, und vielleicht ein Zeugnis kriegt :wink: oder sonst eine Belohnung, zum Beispiel: daß einen so schnell nix mehr umwerfen kann… und dann ist man sozusagen „angekommen“, das Ziel ist erreicht, und man kann sich zufrieden zurücklehnen (ein Apfel würde vom Baum fallen und beginnen zu verfaulen, wenn ihn nicht vorher jemand aufißt)…
Sondern dieses „Reifen“ hat etwas damit zu tun, daß es auch noch etwas außerhalb dieses Lebens gibt, man kann „aus dem Leben reifen“, ebenso wie „aus der Zeit“


Diese Gedanken waren für mich das Geschenk, das sich hinter der außergewöhnlichen „ei-Verpackung“ verbarg; und dafür bin ich heute noch dankbar.

Ich begann, mich für Rilke zu interessieren. Dabei stieß ich zufällig auf dieses Forum – und da geht es mir wie gliwi: ich mag dieses Forum sehr! Hier gab es immer wieder interessante Gespräche über Themen, die mir am Herzen liegen – mit Menschen, mit denen es sich gut reden läßt.

Was ich an Rilke so „besonders“ finde: Rilke hat eine eigene Art, über Dinge zu sprechen, von denen ich früher geglaubt habe, daß man über sie eigentlich gar nicht sprechen kann.

Er verwendet dabei ganz einfache Worte, so wie er es ja auch selber beschreibt:
  • Die armen Worte, die im Alltag darben,
    die unscheinbaren Worte lieb ich so.
    Aus meinen Festen schenk ich ihnen Farben,
    da lächeln sie und werden langsam froh.

    Ihr Wesen, das sie bang in sich bezwangen,
    erneut sich deutlich, daß es jeder sieht;
    sie sind noch niemals im Gesang gegangen
    und schauernd schreiten sie in meinem Lied.
Und Rilke geht mit Sprache wirklich in einer sehr kreativen Weise um.
Immer wieder setzt er Bindestriche und macht so auf die Wurzeln einer Wortzusammensetzung aufmerksam – und er findet manchmal auch neue oder so noch nie gehörte Worte, oder er verwendet ganz alltägliche Worte in ungewöhnlichen Zusammenhängen und gibt mir dadurch Denk-anstöße abseits der gewohnten Alltagssprachzusammenhänge…

Rilke spricht dabei etwas an, das ich tief in mir drin fühlen oder ahnen kann, ohne es zunächst in Worten ausdrücken zu können. Und beim Lesen seiner Gedichte wird mir auch so manches bewußt, von dem ich zuvor nicht einmal etwas ahnte.

Wenn jemand, zum Beispiel hier im Forum, eine Frage stellt und mir damit Anlaß gibt, mich näher mit einem bestimmten Gedicht auseinanderzusetzen, dann versuche ich, das zunächst „Unkennbare“ in Rilkes Worten mit dem zunächst „Unkennbaren“ in meinem eigenen Inneren zu vergleichen und das, was sich davon sagen läßt, in Worte zu fassen…

Und unabhängig davon, ob die Antwort, die ich dann zu geben versuche, dem Fragesteller bedeutsam sein kann (was man ja auch gar nicht immer erfährt): ich selber gehe jedesmal beschenkt aus einem solchen Gespräch heraus.

Ich würde mich freuen, wenn Du hier im Forum ein bißchen herumstöbern magst und in den vielen Beiträgen auch noch ganz andere Antworten auf Deine Frage findest.

Lieben Gruß!

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
helle
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Registriert: 6. Mai 2005, 11:08
Wohnort: Norddeutsche Tiefebene

Re: WARUM RILKE??

Beitrag von helle »

Da stimme ich stilz und auch gliwi zu – man muß kein »Fan« sein, um sich mit einem Dichter zu beschäftigen oder sich über einen Dichter zu unterhalten. Auch bei mir ist es erst dieses Forum, das mich zur näheren Beschäftigung mit Rilke veranlaßt hat. Für den Teil der Literaturgeschichte, der sich mit der Wirkung eines Dichters beschäftigt, ist so ein Forum vermutlich ein ganz neues Phänomen, weil das Interesse nicht zuerst vom Werk ausgehen muß.

Was auch mir am Begriff des Fans mißfällt, ist die damit verbundene Einseitigkeit und Blindheit – als müßte man alles gutheißen, was mit Werk und Person des Dichters zusammenhängt. Das ist anders als bei Johnny Depp oder David Beckham. Die Literaturgeschichte zeigt doch viele Fälle, in denen man die Schriften eines Autors mehr schätzt als seine Haltung, sein Verhalten; manchmal schätzt man auch nur bestimmte Teile eines Werkes, am Ende jedenfalls gibt's viele Gründe, das nicht so einseitig zu sehen.

Gerade bei Rilke geht mir das so. Seine Art, sein Leben so zu führen, daß es ganz im Auftrag der Dichtung und der Kunst steht, kann man bewundern. Man kann es aber auch ablehnen, wenn man bedenkt, was alles er dafür in Kauf genommen hat, diejenigen Lebensumstände zu erreichen, die er für unverzichtbar hielt, um schreiben zu können, und die, zumindest in späteren Jahren, von der Gunst und Unterstützung wohlhabender und wohlmeinender Gönner abhingen. In der Geschichte der deutschen Literatur war Rilke sicher ein einmaliger Nassauer, ausgestattet mit einer Versorgungsmentalität hohen Grades und von kindlicher Unschuld, aber auch selten unmännlich, strategisch betrieben, von Skrupeln unberührt.

Das alles schmälert aber seinen dichterischen Rang nicht. Ich habe hier sinngemäß schon einmal geschrieben, daß Rilke keiner Epoche zuzuordnen ist, sondern sein eigenes scheinbar zeitloses dichterisches Konzept nur im Vertrauen auf die selbstgewählte Aufgabe verfolgt. Dabei hat er seine Dichtung nicht von der Erfahrung seines Lebens getrennt, »einer wirklichen, tiefen menschlichen Erfahrung«, wie Abdelwahab hier im Forum schrieb. Darum gibt es neben allerlei Fragwürdigem unvergleichlich schöne Gedichte Rilkes, manchmal ist es auch nur eine Strophe oder Zeile, aber er war ein Orpheus, ein bewundernswerter Übersetzer und in manchen seiner zahllosen Briefe auch ein tiefsinniger und unabhängiger Denker. Das meint als bekennender Nicht-Fan
helle
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