Briefwechsel in der heutigen Zeit

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loulou
Beiträge: 2
Registriert: 26. Mai 2007, 15:56

Briefwechsel in der heutigen Zeit

Beitrag von loulou »

Hallo an alle Rilkeleser,

ich habe vor kurzem die Biographie "Rilke und die Frauen" gelesen, in der die meisten seiner Frauenbekanntschaften dargestellt wurden. Darunter waren zahlreiche Auszüge von Briefen, die er erhalten oder selbst verfasst hatte.
Sehr erstaunlich finde ich den Briefwechsel mit Marina Zwetajewa, ziemlich zum Ende seines Lebens. Ich habe mir den kompletten Briefwechsel ausgeliehen und lese ihn immer noch. Diese Vertrautheit schon am Anfang ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass diese beiden sich vorher nicht gut kannten, oder sogar überhaupt nicht.
Seitdem stelle ich mir vor, dass es meinen Alltag sehr bereichern würde, fände sich jemand, der sich darauf einließe mir so offen zu schreiben. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es leider niemanden, der sich für Poesie wirklich interessiert. Die meisten leben ja in der modernen Welt und da hat so altmodisches Träumen anscheinend keinen Platz mehr (ich als Träumerin schließe mich da gern aus...)
Wo kann ich Menschen (und hier bin ich ganz ehrlich: in meinem Falle Männer) finden, mit denen ich meine Gedanken zur Poesie Rilkes oder generell, zur Liebe, zum Leben austauschen kann.
Natürlich kommt man sofort auf die Idee: Foren für Brieffreundschaften.
Jedoch habe ich mich für dieses Forum entschieden, da es ja sozusagen naheliegt.
Gibt es hier jemanden, der interessiert wäre an solch einem Briefwechsel mit mir - also ganz altmodisch mit Papier und Briefmarke?

Ich hoffe auf Antwort, bis dahin allen ein schönes Wochenende!

Loulou

helle
Beiträge: 342
Registriert: 6. Mai 2005, 11:08
Wohnort: Norddeutsche Tiefebene

Beitrag von helle »

Das ist ja ein originelles – jetzt kommt wieder so ein Wort, das mir nur schwer über die Lippen bzw. Tastatur geht – »posting«, so heißt es wohl auf e-deutsch. Den Briefwechsel mit der Zwetajewa kenne ich leider nur über das mir nicht in allem geheure Buch von Decker. Aber ich glaube, daß das, was sich da zuträgt, einer untergegangenen Briefkultur angehört, auch wenn diese Kultur sicher schön war. Etwas wie Rilkes Korrespondenz im ganzen, von ihrem Umfang und von ihrer persönlichen Bedeutung für den Autor her, ist heute sicher nicht mehr möglich. Ich glaube, daß Rilke sein Leben ohne diese Form der brieflichen Selbstbehauptung, Selbstdefinition, Selbstvergewisserung bis hin zur logistischen Organisation seines Lebens nicht bewältigt hätte. Und dann, wenn man auf die Charaktere Rilkes und der Zwetajewa sieht, die ja offenbar schon nach zwei Briefen in hellsten Flammen stehen, so etwas kann man nicht wiederholen, das bricht ja los wie ein Scheunenbrand. Abgesehen davon, daß ich ein Kleinbürger bin und von solchen Leidenschaften eher unbehelligt und daß ich bereits einen Teil meiner spare time auf diesem Forum verbringe, möchte ich keine Korrespondenz führen, die von so einem Vorbild ausgeht, hinter das sie doch immer nur zurückfallen kann. Soweit, wie Volker sagen würde, meine unmaßgebliche Meinung.

Gruß und good luck
h.
loulou
Beiträge: 2
Registriert: 26. Mai 2007, 15:56

Beitrag von loulou »

Hallo helle!

Das, was Du schreibst ist vollkommen richtig, und ich denke, dass mein Wunsch wahrscheinlich zu übertrieben dasteht: ich möchte nicht versuchen, diesen Briefwechsel zu kopieren oder nachzuahmen.
An diesem Briefwechsel (ich bin mir sicher, ich hätte auch einen anderen nehmen können) finde ich so faszinierend, dass sich zwei (völlig?) fremde Menschen sehr vertraut schreiben konnten.
Ich würde gern wissen, ob das so ist, eben weil man sich nicht kennt. Es wäre doch sozusagen ein Tagebuch, das antwortet - ohne den anderen herunterzuspielen.

Wahrscheinlich bin ich da auch speziell in meinen Ansichten. Mit Freunden kann ich über so etwas nicht reden. Abgesehen davon, dass sich von ihnen niemand für Poesie interessiert und ich die Vorstellung, mir mit einem mir unbekannten Mann über obenstehende Themen zu schreiben sehr - ich drücke es mal so aus - spannend finde. Da greife ich das Tagebuch wieder auf. Ohne Filter alles schreiben können. Ich kann mir schon vorstellen, dass man da schnell zu einer gewissen Intimität bzw. Vertrautheit gelangt.

Und ich gebe zu, dass ich das "Ritual" des Briefeschreibens sehr mag, natürlich auch das des Briefelesens. :wink:

Loulou
12241224
Beiträge: 4
Registriert: 30. Dez 2007, 12:16

Beitrag von 12241224 »

Hallo loulou,

dein Beitrag ist schon länger her, aber ich bin noch nicht lange hier...
Zu dem besagten Briefwechsel kann ich nichts sagen, da ich ihn nicht gelesen habe (ich bin eine Rilke-Sporadikerin :wink: ) - aber zum Thema Briefeschreiben an Fremde und schnell in Flammen stehen, dazu kann ich etwas beitragen.

Früher, vor Zeiten der Emails, habe ich nie jemanden gefunden, der meine Art, tiefe, lange Briefe zu schreiben, verstand oder "in kind" antworten konnte. Dann wurde das Netz populär - und plötzlich schrieben alle wieder. Natürlich fand ich nicht schnell einen Schreiber, der auch in diesem Medium das wollte, was ich konnte, aber nach einer Weile Sortierens + Aussiebens gelang es mir immer öfter: Richtige, lange Briefe wechseln, auch mit Gedichten, die in die Tiefe drangen - ohne dass ich mein Gegenüber je gesehen hätte.

Alles in allem (und ich gestehe, dass es auch anstrengend war) hatte ich in einer gewissen Zeit (+ nacheinander) bestimmt 10 solcher Mailbriefwechsel, alle hochbefriedigend und seelennah (und nun wohlgespeichert, zum immer-wieder-mal-Lesen.
ich hatte damals privat eine schwierige Situation, aber durch diese Wechselschreiben war ich nie einsam: ich konnte meinen Geist und mein Herz dehnen und flexen, Sprache trainieren und neu erfinden; funkeln und sprühen, wenn mir danach war - und auch ich hatte das mal: Hohe Funken nach 3 Briefen...

Panta rei; manche Wechsel dauerten Monate, manche Jahre und alle endeten leider irgendwann; oft schloss sich auch ein Kreis...
Man kann in einer Mail genauso offen, schnell oder langsam, spontan oder tagelang formulierend, Zephir-säuselnd und hart diskutierend sein, wie in einem Papier-Briefwechsel - aber die mögliche Geschwindigkeit des Austausches kann (wenn gewünscht) noch die große Dynamik eines komplizierten Ballspiels dazu bringen - etwas, dass Papierbriefe nicht leisten können. Mailbriefe können aber von genau so großem Bestand sein und Ewigkeitscharakter haben wie Papierbriefe - trotzdem sie nicht handschriftlich sind.
Natürlich haben meine Schreibpartener und ich geschrieben, weil wir Frau + Mann waren und nach Mann + Frau auf der Suche - aber wir schrieben auch, um zu schreiben...
Hätte ich es nicht so erfahren, ich würde nicht geglaubt haben, dass das möglich ist.

Gut, das ist nun 10 Jahre her; ich habe inzwischen einen Netz-Mann geheiratet, dessen Briefe ein wenig anders aussahen :wink: - und meine Zeit des Intensivschreibens ist lange vorbei - aber es war mit die schönste in meinem Leben.

Rilke Briefe kann man nicht kopieren - aber man kann sich seinen eigenen wirklich tiefen + weiten Briefekosmos schaffen - auch per Mail. Es kostet einige Mühe - aber das ist bei "normalen" Briefen genau so.

Dir viel Glück,
1224.
Andrea
Beiträge: 54
Registriert: 25. Feb 2006, 14:33
Wohnort: Mainz
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Beitrag von Andrea »

Nur ein ganz kleines Zitat - bestimmt unoriginell, etwas in Eile und deshalb ohne mehr Zusammenhang angegeben, als die bisherigen Kommentare bereits ausgelegt hatten - Rilkes zum Thema. Bestimmt aber weiß jemand, woher das genau stammt?

"Ich gehöre zu den Menschen, den altmodischen, die den Brief noch für ein Mittel des Umgangs halten, der schönsten und ergiebigsten eines."

Schöne Grüße,

A.
Kein Jenseitswarten und kein Schaun nach drüben,
nur Sehnsucht, auch den Tod nicht zu entweihn
und dienend sich am Irdischen zu üben,
um seinen Händen nicht mehr neu zu sein.
zopf
Beiträge: 8
Registriert: 3. Feb 2008, 15:20

Re: Briefwechsel in der heutigen Zeit

Beitrag von zopf »

Hallo zusammen, ich bin von dem Gedanken faszniert, in der heutigen Zeit, die von Hektik, Schnelligkeit und einer oft daraus resultierenden Oberflächlichkeit geprägt ist, einen Briefwechsel zu führen. Dabei geht mir nicht darum, Rilkes Brife zu kopieren (dies wäre auch glatte Hybris). Aber ich finde es faszinierend, wie er, und das oft schon nach wenigen Briefwechseln, mit "fremden" Menschen einen Grad der Vertrautheit und Anteilnahme entwickelt hat. Ich würde gerne herausfinden, ob soetwas in der heutigen Zeit in ähnlicher Form (genaueres entwickelt sich sicher automatisch im Laufe der Briefe) möglich ist. Wie gesagt, es soll hier nichts kopiert oder nachgeahmt werden. Es würde mich freuen, wenn sich ein weibliches Wesen für diese Art des Gedankenaustausches begeistern könnte. Allerdings würde ich es bevorzugen, die Briefe auf elektronischem Wege zuzustellen (der "klassische" Brief wäre zwar stilvoller, aber als kleines Zugeständnis an die heutige Zeit...). Diese Art der Zustellung bedeutet ja nicht, dass Muße beim Schreiben verloren gehen muss. Mir würde das klassische Schreiben auf Papier mit nachvollgendem Scannen der Briefe vorschweben. Dies wäre vielleicht ein gesunder Kompromiss!?

Über reges Interesse und konstruktive Antworten würde ich mich freuen!

Gruß T.
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lilaloufan
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Re:

Beitrag von lilaloufan »

Andrea hat geschrieben:Bestimmt aber weiß jemand, woher das genau stammt?
:D Hier ist es jetzt (spät) beantwortet.

Lieben Gruß,
Christoph
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
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