In Praise of Mortality

Tipps und Kritiken zu Werken rund um Rilke

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stilz
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Re: In Praise of Mortality

Beitrag von stilz »

Liebe sedna,

also, zuerst einmal:
Ich muß helle recht geben. Ich finde, eine solche Andeutung, wie Du sie gemacht hast, erweckt bei uninformierten Lesern den Eindruck, Celan wurde zu Recht als Plagiator bezeichnet. Das liegt auch daran, daß Du "Zitieren" schreibst, mit Anführungszeichen. Dadurch suggerierst Du (für mich zumindest), solches "Zitieren" sei irgendwie unanständig... und das wieder scheint mir zu dem "grummeligen Bauchgefühl" zu passen, das Du von Celans schwarzer Milch kriegst, seit Du von Rilkes schwarzer Ziegenmilch weißt.

Wenn man solche Andeutungen wie die Deine liest, denkt man sich wohl unwillkürlich "No smoke without fire", wie es so schön heißt... ja; aber von wem dieses Feuer ausgeht, das sollte man doch auch beachten. Im Fall Claire Goll ist das wohl ausreichend geklärt. Auch in dem von Dir angegebenen link finde ich die Geschichte bezeichnet als "schändliche Plagiatsaffäre, die Claire Goll, die Witwe des dt. -frz. Dichters Ivan Goll, 1960 anzettelte".

Und nach diesen Überlegungen möchte ich ausdrücklich sagen, daß mir meine eigene Bemerkung über Sardou (von dem ich gar nichts weiß, was nicht hier steht) leid tut, denn auch sie kann natürlich mißverstanden werden.


Du zitierst Eric Horn:
"Wichtige Formulierungen der Todesfuge entstammen schon dem Gedicht eines Jugendfreundes von Celan: Immanuel Weissglas schrieb sein Gedicht 1944. Auch das kann als Beleg dienen, dass Celan sein entsubjektivierendes Formprinzip über alles stellt, thematische und motivliche Originalität tritt dahinter zurück, gerade besonders "originell" anmutende Textstellen erweisen sich bei genauerem Nachforschen als "bloße Zitate"."
Ah ja. Daher also wohl Deine Anführungszeichen.

Ich kenne Eric Horn nicht. Aber ich frage mich: was sind "bloße Zitate"? Inwiefern sind sie "bloß"? Liegt dieses "bloß" nicht vielleicht im Leser, der es versäumt, den Kontext zu beachten, in dem diese "bloßen Zitate" stehen?

Wir sind hier nicht im Celan-Forum - dennoch möchte ich jetzt näher eingehen auf das (meiner Meinung nach) Puccini-Zitat, das ich schon in meinen letzten postings erwähnt habe; auch, weil ich den Eindruck habe, daß meine Andeutungen bisher nicht verstanden wurden.

Ich beziehe mich auf die Stelle:
  • Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
    der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
    er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
    er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
    er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Hier finde ich ein Zitat, das mich in diesem Kontext zutiefst berührt, erschreckt, trifft... ich kann es in Worten gar nicht ausdrücken, was alles dieses "bloße Zitat" in mir auslöst: und es blitzen die Sterne - - -
sedna hat geschrieben:stilz schrieb:
"was ist eigentlich der Unterschied zwischen "Abschreiben" und "Zitieren" ... als "Anklang" gemeint"
...
Bei Celan schwingt für mich nichts vage im Unbewussten - der Wiedererkennungswert stellt sich hin wie ein "Täglich stehst du mir steil vor dem Herzen ..."! Das, was 'verleitet' hat, das für die Entlehnung so Gewichtige, sollte doch sinnführend sein, etwas anspielen, aussagen ........ Ich hör nix. Du?
Also - einmal abgesehen davon, daß der "Wiedererkennungswert" einer Tagebucheintragung wohl nicht so ohne weiteres mit dem einer Zeile aus einem veröffentlichten Gedicht verglichen werden kann:
Ja, liebe sedna. Ich höre etwas.
Und ich höre es nicht gern. Überhaupt nicht gern. Aber ich kann es auch nicht überhören.

Ich habe mich viel zu wenig mit Paul Celan (und seiner Beziehung zu Rilke) beschäftigt, um sagen zu können, ob das, was ich da höre, tatsächlich "drin" ist in der Todesfuge.
Aber ich finde es nicht richtig, eine solche Frage schnell und nach dem allerersten Anschein oder einem "grummeligen Bauchgefühl" (das ja immer auch mit einem selbst zu tun hat) zu beurteilen.


Nix für ungut...

Gute Nacht!

stilz

edit: der link zu "Und es blitzten die Sterne" funktionierte offenbar nicht richtig, tut mir leid - ich hab das nun geändert.
Zuletzt geändert von stilz am 7. Mai 2010, 13:05, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: In Praise of Mortality

Beitrag von sedna »

Zu Rilkes Zeiten sollen Auseinandersetzungen über Kunstauffassungen zu Duellen geführt haben.
Es war nie meine Absicht, so etwas auf direktem Wege zu wiederholen. Ich frage mich nur: Warum wird eine Annäherung an die wirklich bedeutsamen Fragen in der Kunst hier so systematisch abgeblockt, und das nur, um irgendwelchen Befindlichkeiten Vorschub zu leisten?
Warum?
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
stilz
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Re: In Praise of Mortality

Beitrag von stilz »

Liebe sedna,

es liegt wirklich nicht in meiner Absicht, etwas abzublocken. Und auf Duelle bin ich erst recht nicht aus.

Aber ich muß sagen: ich begreife nicht recht, was Du mit "Abblocken" meinst. Vielleicht begreife ich ja überhaupt nicht, was Du eigentlich meinst mit der "Annäherung an die wirklich bedeutsamen Fragen in der Kunst"?

Mit meinen Ausführungen zu Puccini und dazu, was dieses Zitat in mir auslöst - weil Celan es gerade so, wie er es tut, in seine "Todesfuge" stellt -, meinte ich darauf einzugehen, was Du hier schreibst:
sedna hat geschrieben: Und Peter Horst Neumann schreibt:
"Vor allem verbietet sich die isolierte Betrachtung einzelner sprachlicher Wendungen. Für jede von ihnen ließen sich jüdische, deutsche oder mythische Referenzen anführen. [...] Die Verbindung jüdischer und deutscher Bildvorstellungen hat ihren kontrapunktischen und geschichtlichen Sinn. Durch das historisch datierbare Grauen hindurch wird auf Vorzeit und Mythos verwiesen. Nur auf dem Weg des Zitierens gelangt so auch 'Schönheit' in diesen Text."
Ja.
Und ich möchte zu den "jüdischen, deutschen oder mythischen Referenzen" noch die zeitgenössischen Referenzen hinzufügen, die sich auf das jeweilige kulturelle Umfeld eines Dichters beziehen. Ein Künstler kann meiner Meinung nach nicht nur auf "Vorzeit und Mythos" verweisen, sondern eben auch auf Musik und Literatur... und auch darauf, wie Musik und Literatur in ihm und seinen Zeitgenossen leben...
sedna hat geschrieben:So. Und genau da fängt es an, für jemand spannend zu werden, der sich aus den Untiefen der Kunst selbst diesem Feld nähert. Um nichts anderes geht es hier.
...
Ein Letztes: Es kann - auch künftig - nicht angehen, daß ich hinter jeden Satz, den ich irgendwann mal in mein Wissensnetz eingespeist habe, eine Quellenangabe dranhänge, nur, weil ich davon ausgehen muß, irgendwann mißverstanden zu werden. Manches setze eben auch ich voraus, aber - und vor allem - damit meine ich nicht nur Wissen.
Ja. Dem stimme ich vollständig zu.
Und auch ein Dichter setzt etwas voraus bei seinem Leser. Das sind halt immer wieder auch Voraussetzungen, die nicht alle Leser erfüllen; und mit denen es gerade Leser einer späteren Zeit oft schwer haben. Deswegen erscheinen dann oftmals kommentierte Ausgaben mit umfangreichen Anmerkungsapparaten, um auf die vielen Anspielungen und Zitate hinzuweisen, die sich für die "Nachgeborenen" (und sicherlich auch für etliche Zeitgenossen) im Text verbergen (ich denke etwa an E.T.A. Hoffmanns "Kreisleriana").

Aber Du schreibst auch noch:
sedna hat geschrieben:Es gibt bislang einige Überlegungen dazu, und es gibt vor allem Gründe für sie. Aber ich sehe für mich keinen Grund, diese z.B. einer noch nicht zuende gedachten Entsubjektivierungstheorie unterzuordnen. Denn im übrigen gibt es in den Bereichen der Kunst nicht nur Eitelkeiten, sondern tatsächlich noch einen Ehrenkodex!
Verstehe ich Dich richtig:
Meinst Du, dieser "Ehrenkodex" verlange von einem Dichter, was Du selber von Dir nicht verlangen willst, nämlich eine Quellenangabe hinter allem, das er "irgendwann mal in [s]ein Wissensnetz eingespeist" hat?

Wenn dem so sein sollte, dann begreife ich das hier überhaupt nicht:
sedna hat geschrieben:Und mein Ansatzpunkt wurde - meiner Ansicht nach - nirgendwo bisher so anschaulich und zeitlos auf den Punkt gebracht, wie "Im Gespräch", 1898/99:

"Kunst ist Kindheit nämlich. Kunst heißt, nicht wissen, daß die Welt schon ist und eine machen. Nicht zerstören, was man findet, sondern einfach nichts Fertiges finden."
Ich verstehe Rilke hier so, daß der Künstler alles, was er vorfindet, als "Baustein" nimmt, um "eine Welt zu machen" . . . "Siehe, ich mache alles neu!" (Offenbarung 21,5)
Aber ist es denn nicht gerade das, was Du Celan vorzuwerfen scheinst???


Mit vielen Fragezeichen

stilz
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Re: In Praise of Mortality

Beitrag von stilz »

Ich erfahre gerade, daß oben in meinem vorletzten posting auch der geänderte link zu Puccinis "Und es blitzten die Sterne" in Deutschland nicht richtig zu funktionieren scheint... hier also noch ein Versuch (der erste link, der hier in Österreich einwandfrei funktioniert, wäre Fritz Wunderlich gewesen):
http://www.youtube.com/watch?v=S2ynRflf-dY
Ich hoffe sehr, daß es jetzt klappt...

stilz
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Re: In Praise of Mortality

Beitrag von sedna »

Liebe stilz,

Hab’ mich schon gewunderlicht - aber immerhin entferntester Anklang "Im Land des Lächelns": "Und deine goldenen Haare glänzen ..."

Nun wird es ja wieder etwas entspannter weiter führen.
"Annäherung an die wirklich bedeutsamen Fragen in der Kunst" - Resumée: Mein ursprüngliches Interesse kreiste darum, wann wohl geistiges Eigentum zur wesentlichen Kunstschöpfung wird, und auch um das, was andere dann so daraus machen können (ausgehend von unstimmigen Übersetzungen, Rechtslagen usf. Ein einzelner Beitrag inmitten einer so komplizierten Kette hat die Ebene für uninformierte Leser längst verlassen. Auf so etwas falle ich nicht rein).
Es stellt sich für mich nicht nur die Frage, wann die Grenze für dieses Schöpfungs-Niveau erreicht ist, sondern auch, wo die Grenzen ihrer Antastbarkeit liegen, von mir vorher 'Achtung vor der Schöpfungshöhe' genannt (=Ehrenkodex, die Individualität eines Künstlers ernst nehmend, und nach Rilke: Kunst und Künstler nicht be-urteilen – wie kommst Du auf mich? Um mich geht es hier nicht!); und diese Annäherung sah ich hier schon kurzfristig aus niederen Beweggründen vom Tisch gefegt (=Abblocken).

"Kunst ist Kindheit", eine ständige Umbruchszeit (wie seinerzeit die Moderne) und soll sein:
"grenzenlos und ohne Verzicht und Ziel", ungehindert, unendlich aus sich heraus weiter tätig werden zu können. Kunst anfügen an das, was man findet, leichte Berührung kann da schon sein.
Aber wie viel verträgt sie?
Ich denke an Hilde Domin: "Meine Gedichte sind meine Kinder". Da fragt man sich schon, wo die Grenze zwischen Spiel und Mißbrauch verlaufen könnte ...
Und das weiß ich nicht. Dort, dachte ich, wollten wir hier ja irgendwie, irgendwann mal hin ... Und das gilt für alles weitere unausgereifte Maß der Dinge oder scheinbar widersprüchlich Angedachte, für das ich mich inzwischen leider zur Rechenschaft als zur Diskussion gezogen fühle.

Ein Gleichnis für meinen Ansatzpunkt könnte sein:
Einer braucht Brennholz und sägt in Nachbars Garten Äste von einem gut gewachsenen Baum. Würde der Nachbar freundlich winken?
Was wäre, wenn dieser nicht winken kann, weil er nicht da ist ("In Praise of Mortality")?
Könnte der Nachbar auch etwas anderes sein, als ein Vasalle?
Oder müßte einer – wenn er schon in voller Absicht solche ‚grenzüberschreitenden Maßnahmen’ ergreift – sich nicht schon mal darauf einstellen, dass eventuell mit diesem Nachbarn erstmal nicht mehr so gut Kirschen essen sein könnte?
Wäre Argwohn in diesem Fall wirklich so verwunderlich?

Jedenfalls kann ich mir keinen Reim darauf machen, weshalb ich aus einem (- oh, wie’s jetzt erstmal anfängt zu grummeln!) nie wertfreien 'stillen sozialen Einvernehmen' heraus, so etwas wie "schändliche Plagiatsaffaire" sagen soll, wenn ich es möglichst wertfrei sagen will: 'Claire Goll erhob auch ständig Plagiatsvorwürfe', heißt für mich nicht, daß dies zu recht geschah, und entspricht keiner eingefärbten Meinung - das steht da nirgends. Da dichtet man wiederum mir vorsätzlich etwas an. Dasselbe gilt für das "Zitieren", dem ich in einem vorhergehenden Beitrag doch immerhin Schöpfungshöhe zuschrieb, nicht Kopie. Aber nach einem anderen Gedankengang, zu Werkverbindungen, können Zitate ziemlich vergeblich sein, wenn sie keinen werktreuen Bezug nehmen dürfen.
Mir ging es darum, mich erst mal in dem umzuschauen, was ist: Schwebezustand. (Dann kam Celan dazwischen! Und etwaige gefühlte Spitzfindigkeiten betrachte ich nicht als Vorwürfe; sie dienen dazu, die Ecken auszuleuchten. Vorwürfe mache ich mir schon selber genug, die nämlich, überhaupt auf dieses Stumpfgleis gefahren zu sein.)
Richtig freuen über eine überraschende Wendung kann man sich aber zum Beispiel durch sachbezogene Bauklötzchen, wie das folgende, auch wieder selbst recherchiert, bei wiki ...

"Erst 1970 veröffentlichte Weissglas das Gedicht 'Er', das seither in der Literaturwissenschaft als eine der Quellen für Celans Todesfuge betrachtet wird. Jean Bollack urteilte: „Celans Todesfuge stellt eine Antwort auf Weissglas’ Gedicht dar, dessen Existenz er kannte. Er ordnet seine Bestandteile neu an, ohne zusätzliche hinzuzufügen: es sind dieselben Elemente, aus denen er aber etwas ganz anderes macht.“[1] Weissglas sah beide Gedichte „tief verankert im lyrischen Bewußtsein unserer Zeit. Parallelismen bezeugen keineswegs irgendeine Priorität.“ Auf Vorwürfe die hinter den Parallelen ein Plagiat Celans vermuteten, wandte er sich gegen das „schakalartige Schnüffeln […] mit dem unlauteren Ziel, eine dichterische Erscheinung von hölderlinscher Prägung in Frage zu stellen."

... wäre da nicht schon wieder Lukas 11,10 mit seinem "Und wer da sucht, der findet", der auf Gedeih und Verderb hier Parallelismen zu
m e i n e n verstreuten Erbsen herstellen will, welche ja, obwohl ich nur Fragen beantworten wollte, auf beklemmende Weise fast schon an die Stelle der Dichtung auf den Prüfstand gehoben wurden - was zu keinem Zeitpunkt für mich zur Debatte stand. Es hilft alles nichts: Wo sich mir in einem Gesprächsverlauf plötzlich ‚alarmierende Unterstrukturen’ zeigen, räume ich sofort das Feld.
In der Hoffnung, daß nackte Tatsachen, ähnlich wie 'bloße' Meinungsverschiedenheiten hier noch einiges heran reifen lassen können. Macht was S c h ö n e s draus.
(Und ich werde mich in der Zwischenzeit mal umschauen, ob es irgendwo Weichspüler für meine Worte gibt.)

Dito nix für ungut.

sedna
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
helle
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Re: In Praise of Mortality

Beitrag von helle »

Hallo sedna,
was ist eigentlich so schwer daran, einen Fehler einzuräumen? Es hätte mehr Mumm erfordert, zu sagen, da habe ich mich nicht richtig informiert und mich vielleicht vorschnell geäußert (oder wie immer), als diese trostlosen Versuche, eine unhaltbare Position - mit Claire Goll gegen Celan - zu verteidigen, in die Du Dich hineinmanövriert hast, sicher aus Unbedarftheit (»wo ist das Problem?«).

Die stattdessen von Dir aufgestellte Behauptung, daß »eine Annäherung an die wirklich bedeutsamen Fragen in der Kunst hier systematisch abgeblockt« würden, ist doch völlig grotesk, tut mir leid. Und die anschließende geäußerte Sicht, es würde Deine »Annäherung hier aus niederen Beweggründen vom Tisch gefegt (=Abblocken)«, ist ähnlicher Unfug, aber darüberhinaus eine Diskreditierung, ob sie, wie zu vermuten ist, mir gilt oder anderen Teilnehmern des Forums. Wenn wir uns hier schon streiten, dann aber bitte mit offenem Visier und nicht mit solchen nebulösen Andeutungen. Wen oder was meinst Du denn mit »niederen Beweggründen«? Aber zur Sache:

Es würde den Forumsrahmen sprengen und meine Kompetenzen übersteigen, die Forschungslage zur »Todesfuge« hier zu beschreiben, und am Ende auch nur wenig andere Forumsteilnehmer interessieren. Aber was Du dazu schreibst und zitierst, enthält verschiedene sachliche Fehler, auf die hinzuweisen bislang gutes Recht in diesem Forum war, von denen ich aber nur die Datierung des Weißglas-Gedichtes auf 1944 – also vor der »Todesfuge« – herausgreifen will. Wenn Dir an der Sache wirklich liegt, mußt Du schon genauere Kenntnis des Kontextes nehmen, mit ein paar nachträglichen Internetclicks als »eigener Recherche« ist es in dieser Hinsicht nicht getan.
Eric Horn ist keine »Quelle der Forschung«, da täuschst Du Dich, aber er hat eine schöne und interessante Webseite gemacht. Darin wiederholt er nun die Behauptung, das Gedicht von Weißglas sei 1944 entstanden. Dafür gibt es keinen Beleg. »CG war von der Publikation des ›Er‹ innerhalb eines Artikels von Heinrich Stiehler in den ›Akzenten‹ [...] durch Werner Dürrson Anfang März informiert worden. Für das bereits im Erstdruck in der Bukarester ›Neuen Literatur‹ (1970 Heft 2, S. 34) erscheinende Datum 1944 als Entstehungsdatum sind bisher keine Quellenbelege bekannt«, so B. Wiedemann in der von mir erwähnten Untersuchung aus dem Jahr 2000. Weder Horn noch sonst jemand hat seitdem dafür eine neue Quelle aufgewiesen. »Auch die von Dritten oft wiederholte Behauptung Heinz Stänescus zur Stützung des zeitlichen Vorrangs von ›Er‹ gegenüber der ›Todesfuge‹, Weißglas habe das Gedicht aus dem Manuskript von ›Kariera am Bug‹ (Bukarest 1947) genommen, nachdem PC seine ›Todesfuge‹ publiziert hatte [...] entbehrt jeder Grundlage. [...] Bisher ist ›Er‹ nur in einem auf den 20. 7. 1947 datierten Konvolut mit dem Titel ›Gottes Mühlen in Berlin‹, und zwar undatiert als Typoskript belegt«, heißt es bei Wiedemann weiter (690f.)

Im Anhalt an den Aufsatz von Stiehler publiziert Claire Goll 1975 in »Westermanns Monatsheften« einen von Halbwahrheiten, Lügen und Verunglimpfungen strotzenden Artikel unter dem Titel »Ivan Golls Witwe: So war es«, in dem sie erstmals ausdrücklich die Beziehung des Weißglas-Gedichtes zur »Todesfuge« herstellt und, wie Eric Horn gut 60 Jahre später, dafür die Datierung 1944 angibt. Celan nennt sie darin einen »Judas«, »einen Abgrund an Unwahrheit und Heuchelei«, wirft ihm gekränkte Eitelkeit, listige Täuscherei, Hysterie usw. usf. vor, außerdem erfindet sie eine Geschichte, wonach er kurz nach Golls Tod zu ihr ins Bett steigen wollte und sie ihn nur durch eine »schallende Ohrfeige« davon abgehalten habe; auch darum »geht es hier«, vielleicht nicht für Dich, aber für mich. Von Weißglas spricht sie als »einem jungen rumänischen Juden, der 1944 (kurz vor seiner Deportation und Vergasung)« das Gedicht ›Er‹ geschrieben habe, obwohl weder diese Datierung gesichert noch Weißglas 1944 gestorben ist, vielmehr ist er 1979 in Bukarest gestorben.
Solche historischen Daten sind eben nicht einfach nur Bagatellen angesichts der ›wirklich bedeutsamen Fragen der Kunst‹, vor allem wenn Du von Deinen Bemühungen als einem »Versuch« sprichst, »das weite Feld von Kunst und Ethik sowie dessen GRENZBEREICHE zu erschließen« und dabei Begriffe wie »Ehrenkodex« anführst. Sondern sie sind Teil des Zusammenhanges von Leben und Werk, der gerade bei einem Künstler wie Celan unzertrennlich ist.

Haltlos ist im übrigen die Auffassung, Celan habe Teile der »Todesfuge« bei Yvan Goll entlehnt, der an dem grauenhaften Theater, das seine Frau veranstaltet, unschuldig ist. Goll notiert ein Vierteljahr vor seinem Tod, im Nov. 1949 in Paris (in französischer Sprache, ich zitiere es auf deutsch): »Celan [...] liest uns Gedichte aus ›Der Sand aus den Urnen‹ [...] vor, und Claire und ich finden sie beide dort bewundernswert [...], wo die Schatten von Rilke und Trakl vor seinem klaren Genie langsam verlöschen. Vor allem ›Todesfuge‹ ergreift und entzückt uns.«
h.
sedna
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Re: In Praise of Mortality

Beitrag von sedna »

helle schrieb ...:
"Hallo sedna"
So komme ich gerne ins Gespräch, helle.

... weiter:
"Wen oder was meinst Du denn mit »niederen Beweggründen«?"
Das Demonstrieren einer Überlegenheit, die in der Hauptsache erstarren läßt, und persönliche Übergriffe in den Vordergrund rückt. Killerphrasen.
Und da nützt Dir dann anschließend auch kein wie auch immer geartetes offenes Visier: Wenn der Bock von Dir Wind bekommt und abspringt, siehst und schießt Du den nimmermehr.

Die Entgleisung, die ich mir vorzuwerfen habe ist, daß ich hier wahrscheinlich den Eindruck erweckt habe, mich zu Rilkes Anwältin zu entwickeln. Und wenn Deine Lesart auf Verteidigung fokussiert war, kann ich Deinen Einwurf nachvollziehen - aber da musst Du ja nicht gleich Krummer Hund zu mir sagen!
Es gibt noch andere Lesarten! Und auch ich kenne die Hintergründe des "Falls" ein wenig, wenn auch nicht so gut wie Du. Aber ich kann meine Aussage wirklich nicht mit mehr oder weniger "Wissen" verbinden, sehe auch kein "Richtig" oder "Falsch", sondern ein "Sowohl als auch", weil ich nicht alles sagen k a n n . Was jedoch nicht in meiner Absicht lag und auch künftig nicht liegen wird ist, diesen "Fall" wertend oder polemisch zu erwähnen. Denn ich war nicht dabei. Das hat was mit Originaltextlesen zu tun. Und damit möchte ich die Klarstellung schließen.

Was hier gerade im Gange war, würde ich erstmal als Materialsammlung bezeichnen, und da passen Deine dankenswerterweise sehr informativen Ausführungen im übrigen doch hervorragend dazu. Aber das kann ich natürlich viel schneller begreifen, wenn nicht auf mich geschossen wird.
Man sollte immer im Auge behalten, daß es sehr unterschiedliche Herangehensweisen an Texte gibt, auch sollte man sich freuen können, wenn ein Gesprächsfaden eine solche Eigendynamik entwickelt. Es geht auch nicht mehr darum, Lesarten zu bedienen, und in jedes sensible Thema einführen zu müssen: "Ihr kennt ja alle Claire Goll, und was ich im folgenden völlig wertfrei anmerken möchte ... usf." - Das wäre ja Stumpfgleis des Abstellgleises. Daß die Celan-Geschichte jetzt geradezu als Parade-Beispiel eines Grenzfalls zu den Ausgangsfragen paßt, ist Zufall. Aber sie paßt mir nicht als Streitfall. Und wie ich damit in Zukunft verfahren werde, habe ich ja schon zum Ausdruck gebracht.

"Eric Horn ist keine »Quelle der Forschung«,"
Stimmt, ich meinte Quelle meiner Nachforschungen im Hinblick auf meine umstrittene Aussage. Denn das Projekt hat einen zitierfähigen Eindruck bei mir hinterlassen.

Und ich schreibe mich allmählich zu der Erkenntnis hin, daß es der Name war, den ich nicht hätte erwähnen sollen: Claire Goll. Ja, der von Dir gefühlte "Fehler" war wohl, daß ich die Goll-Affäre nicht hätte erwähnen sollen. Womit ich nicht sagen will, daß Deine Ausführungen Bagatellen sind. Ich stimme Dir völlig zu, daß sie wertvolle Hintergrundinformationen für ein umfassenderes Bild sein können.

helle schrieb:
»Celan [...] liest uns Gedichte aus ›Der Sand aus den Urnen‹ [...] vor, und Claire und ich finden sie beide dort bewundernswert [...], wo die Schatten von Rilke und Trakl vor seinem klaren Genie langsam verlöschen. Vor allem ›Todesfuge‹ ergreift und entzückt uns.«

Wenn Du meine Stielaugen sehen könntest ... Das ist natürlich eine Meinung, subjektiv, und – vom Zickenalarm abgesehen - Yvan Goll und Rilke ist auch kein rein sachliches Thema.
Wir sind ja weder in der Antike, noch im Mittelalter (oder bei Eco ...), und inzwischen haben wir ein UrhG, das Plagiatsvorwürfen im übrigen keine großen Erfolgsaussichten einräumt. Aber hier lese ich vor allem eins: Daß Rilke noch mitklingt. Und das muß ich erstmal so stehen lassen.

In mancherlei Dingen halte ich ein gewisses Unwissen für gar nicht verkehrt, um sich einer Sache besser nähern zu können. Denn Wissen lässt sich nicht gleich setzen mit Erfahrung, daher dient Wissen auch nur bedingt dem Fortschritt. Ein Beispiel dazu: Wenn man mit seinem Hund nicht klarkommt, kann man noch so viele Bücher über Hunde lesen – wenn man sich nicht die Mühe macht, zuerst die Sprache des Hundes zu verstehen, wird man nie Zugang zu dem Tier finden, und sich immer nur wie ein Mensch verhalten können.
Und so ist es auch in der Kunst. Und in der unterschiedlichen Herangehensweise liegt wohl ein weiteres Problem, »das weite Feld von Kunst und Ethik sowie dessen GRENZBEREICHE zu erschließen«. Bei mir behält der Originaltext die Oberhand (alles Sekundäre kann nur bedingt zur Erkenntnis beitragen, und darum geht es auch stilz und mir: Übersetzungen sind - salopp gesagt - "Sekundärliteratur". Der Hund in meinem Beispiel oben entspräche einem Originaltext) und meine hiesige Arbeitsweise, mich auf etwas hinzuschreiben, ist noch mal etwas ganz anderes, als ein wissenschaftlich Bearbeitetes, das dann als ein "Fertiges" veröffentlicht wird. Und ich bin mir völlig im Klaren darüber, daß manch einer es mir mit meiner Methode einfach nicht gönnen kann, einfach so ein bedeutsames Bild umgedreht zu haben, das rund sechzig Jahre lang inmitten der Forschung mit dem Gesicht zur Wand gestanden hat. Aber das wird gefressen werden müssen.
Und "Spielraum" für verschiedene Methoden setze ich in einem Forum einfach voraus. Denn es geht hier ja um Rilke, um einen kompromißlosen 'Künstler aus Notwendigkeit', für den in der Begegnung von Kunst und Wissenschaft schon deshalb zu wenig "Spielraum" war, weil sich zwei völlig unterschiedliche Leistungsprinzipien miteinander hätten arrangieren müssen:

"Universitäten haben mir ja bis jetzt jedes Mal so wenig gegeben; in meinem Gefühl ist so viel Abwehr gegen ihre Art."
(Brief an Lou Andreas-Salomé vom 13. May 1904)

sedna
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stilz
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Re: In Praise of Mortality

Beitrag von stilz »

Liebe sedna,

nun möchte ich mich auch noch einmal zu Wort melden.

Zunächst:
sedna hat geschrieben:Ein einzelner Beitrag inmitten einer so komplizierten Kette hat die Ebene für uninformierte Leser längst verlassen. Auf so etwas falle ich nicht rein
Nun - wenn jemand hier interessiert mitgelesen hat, heißt das noch lange nicht, daß er schon vorher etwas über die "Goll-Affaire" wußte. Und falls er tatsächlich bisher noch nichts davon gehört hätte, dann hätte er ohne helles Eingreifen ein anderes Bild, als er es jetzt hat.
An Deinem selbstverständlichen Übernehmen der Aussagen Eric Horns sieht man deutlich, wie leicht etwas, das an, ich sage mal: "kompetent aussehender Stelle" im Internet zu finden ist, vom Leser für wahr gehalten wird. Insofern bin ich helle nach wie vor sehr dankbar für alles, was er hier geschrieben hat.
sedna hat geschrieben:Ein Gleichnis für meinen Ansatzpunkt könnte sein:
Einer braucht Brennholz und sägt in Nachbars Garten Äste von einem gut gewachsenen Baum. Würde der Nachbar freundlich winken?
Was wäre, wenn dieser nicht winken kann, weil er nicht da ist ("In Praise of Mortality")?
Könnte der Nachbar auch etwas anderes sein, als ein Vasalle?
Oder müßte einer – wenn er schon in voller Absicht solche ‚grenzüberschreitenden Maßnahmen’ ergreift – sich nicht schon mal darauf einstellen, dass eventuell mit diesem Nachbarn erstmal nicht mehr so gut Kirschen essen sein könnte?
Wäre Argwohn in diesem Fall wirklich so verwunderlich?
Selbst wenn ich Eric Horn glauben wollte, ja, selbst wenn es gesichert wäre, daß die "Todesfuge" später geschrieben wurde als das erwähnte Gedicht von Immanuel Weissglas: ich würde Dein Gleichnis dennoch für vollkommen unpassend halten.
Denn erstens nimmt ein Dichter, der einen anderen zitiert, "Äste" aus einem bestehenden Gedicht nicht, weil er "Brennholz" braucht, sondern weil er ebenfalls einen "gut gewachsenen Baum" erschaffen will.
Und zweitens wird ein bestehendes Gedicht dadurch, daß Teile daraus in einem anderen Gedicht zitiert werden, keineswegs zerstört.
Ich würde daher, wenn überhaupt, statt von Ästen, lieber von den Kirschen sprechen wollen, aus denen man einen Kuchen backen will... und dabei im Bewußtsein haben, daß, im Gegensatz zu materiellen Kirschen, dieselben geistigen "Früchte" sehr gut für unterschiedliche "Kuchen" verwendet werden können.
In der Kunst ist es eben - im Gegensatz zur "materiellen Welt" - sehr gut möglich, nichts zu zerstören und dennoch etwas Neues zu erschaffen.
Es genügt dazu, wie Rilke sagt, "einfach nichts Fertiges [zu] finden."


Ich möchte nun auch noch Gottfried Benn zitieren, der zum Thema "Plagiat" (es ging um das Buch "Das verlorene Kind" von R. Sanzara) geschrieben hat:
"In der Tat scheint mir, die Behauptung, in diesem Buch sei irgend etwas unverarbeitet liegengeblieben, quellenmäßig übernommen, entlehnt oder gestohlen, entspringt einem Mangel an Gaben. Es wäre genauso richtig und genauso sinnlos zu sagen, das Auge habe das Protoplasma bestohlen oder die Träne die Elemente, weil sie Chlornatrium enthält. Jeder Ursprung ist schließlich materieller Art."

Ja. In gewisser Hinsicht kann man sagen, daß jeder Ursprung "materieller Art" ist. Etwas, woran man "Rechte" haben kann, ist für mich jedenfalls in diesem Sinne "Materie".


Liebe sedna, und Du schreibst auch noch:
alles Sekundäre kann nur bedingt zur Erkenntnis beitragen, und darum geht es auch stilz und mir: Übersetzungen sind - salopp gesagt - "Sekundärliteratur".
Dazu möchte ich nun doch sagen, daß ich nicht glaube, daß wir beide in Bezug auf das "Urheberrecht" ganz dasselbe Anliegen haben.
Für mich geht es weniger darum, dem jeweiligen Autor (vor allem, wenn er längst gestorben ist!) seine "materiellen Ansprüche" zu sichern (wozu ich auch "Ruhm und Ehre" zähle). Das ist natürlich für noch lebende Künstler ein wichtiges Thema; aber es ist dort, wo es Verstorbene betrifft, nicht mein Herzensanliegen.

Sondern für mich bedeutet "Urheberrecht" vor allem, daß einem Urheber nichts untergeschoben wird, das er nicht gesagt hat. Und das über den Tod des Urhebers und auch über alle "Schutzfristen" hinaus, sozusagen bis in alle Ewigkeit.
Das ist gerade bei Übersetzungen sehr sehr schwierig, denn Owen Barfield hat natürlich recht: outside the purest abstractions and technicalities, no two languages can ever say quite the same thing [abgesehen von bloßen Abstraktionen und Formalitäten können keine zwei Sprachen jemals ganz dasselbe sagen.]

Deshalb setze ich mich, wo immer ich kann, dafür ein, daß Übersetzungen von Kunstwerken nach Möglichkeit nur im Zusammenhang mit dem Original veröffentlicht werden sollten. Bei längeren Werken (etwa Goethes "Wilhelm Meister") ist das nicht gut möglich - da sollte dann zumindest so deutlich wie möglich darauf hingewiesen werden, daß es sich um eine Übersetzung handelt. Was bedeutet, daß der Name des Übersetzers schon außen auf dem Umschlag stehen sollte, nicht irgendwo auf der inneren Umschlagseite als winzige Marginalie. Und zwar nicht, um dem Übersetzer "Ruhm und Ehre" zu sichern, sondern um dem Leser klarzumachen, daß er eben nicht Goethe liest, sondern XY. Und daß der Roman in der Übersetzung von YZ möglicherweise ganz anders lauten würde.


Herzlichen Gruß

stilz

P.S.: Zum Thema "Zitieren in Gedichten" empfehle ich im übrigen die beiden Nachworte "Laß uns die Worte finden" von Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou und "Das Briefgeheimnis der Gedichte" von Hans Höller und Andrea Scholl, zu lesen im - auch sonst sehr empfehlenswerten! - Band Herzzeit. Ingeborg Bachmann - Paul Celan. Briefwechsel, erschienen im suhrkamp-Verlag.
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
sedna
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Re: In Praise of Mortality

Beitrag von sedna »

Liebe stilz,

ich hab ja ein breites Kreuz; und ich gehe auch davon aus, daß Du Dir gut überlegst, was Du zu meinen Bemerkungen schreibst. Denn mehr Fenster will ich nicht mehr aufmachen.
Was hier im Forum geschrieben wird, erhebt meiner Ansicht nach keinen anderen Anspruch, als (meist) höfliche Anregung zum Quer-, Nach- und Weiterdenken zu sein; selbstverständlich wünscht man sich möglichst viele kritische Interessierte, die sich nicht gleich so ohne Weiteres festlegen (lassen) wollen. Und dieser Faden begann ja sogar als sehr hübsches Experiment zur bestehenden Auslegungsnot für den Begriff des geistigen Eigentums im Spagat zwischen Kunst und Recht, - bis hin zu meinem Wunsch, daß selbst die Toten in friedvoller Unendlichkeit für alle da Kommenden unverfälscht eines dürfen: "klingen, was keiner sonst klingen kann".

stilz schrieb:
"... für mich bedeutet "Urheberrecht" vor allem, daß einem Urheber nichts untergeschoben wird, das er nicht gesagt hat."

Robert Frost schrieb:
"Poetry is what gets lost in translation."
Da haben wir den Salat! Es geht eben um mehr als Worte. Auch darin unterscheiden sich unsere Meinungen, da hast du recht.
(Ich tu jetzt einfach mal weiter so, als wüsste ich nicht, daß es auf die Hintergründe meiner im übrigen wohlüberlegten Beispiele schon lange nicht mehr ankommt, sondern darum, mich im übertragenen Sinne "in den Kreis meiner Ahnen zu versammeln", um mit Karl May zu sprechen.)
Und sollten mir dann irgendwann einfach nur noch die Worte fehlen, siehe da - schon ist Nietzsche zur Stelle:

"O sancta simplicitas! In welcher seltsamen Vereinfachung und Fälschung lebt der Mensch! Man kann sich nicht zu Ende wundern, wenn man sich erst einmal die Augen für dies Wunder eingesetzt hat! Wie haben wir Alles um uns hell und frei und leicht und einfach gemacht! wie wußten wir unsern Sinnen einen Freipaß für alles Oberflächliche, unserm Denken eine göttliche Begierde nach muthwilligen Sprüngen und Fehlschlüssen zu geben! - wie haben wir es von Anfang an verstanden, uns unsre Unwissenheit zu erhalten, um eine kaum begreifliche Freiheit, Unbedenklichkeit, Unvorsichtigkeit, Herzhaftigkeit, Heiterkeit des Lebens, um das Leben zu geniessen! Und erst auf diesem nunmehr festen und granitnen Grunde von Unwissenheit durfte sich bisher die Wissenschaft erheben, der Wille zum Wissen auf dem Grunde eines viel gewaltigeren Willens, des Willens zum Nicht-wissen, zum Ungewissen, zum Unwahren! Nicht als sein Gegensatz, sondern - als seine Verfeinerung! Mag nämlich auch die Sprache, hier wie anderwärts, nicht über ihre Plumpheit hinauskönnen und fortfahren, von Gegensätzen zu reden, wo es nur Grade und mancherlei Feinheit der Stufen giebt; mag ebenfalls die eingefleischte Tartüfferie der Moral, welche jetzt zu unserm unüberwindlichen "Fleisch und Blut" gehört, uns Wissenden selbst die Worte im Munde umdrehen: hier und da begreifen wir es und lachen darüber, wie gerade noch die beste Wissenschaft uns am besten in dieser vereinfachten, durch und durch künstlichen, zurecht gedichteten, zurecht gefälschten Welt festhalten will, wie sie unfreiwillig-willig den Irrthum liebt, weil sie, die Lebendige, - das Leben liebt!"

sedna (Jenseits von Gut und Böse)

Oh, da scheint eine Zeile verrutscht zu sein!

„Vale Viator!“
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
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