"Renée"

Wo kann man anderen Rilke-Freunden begegnen?

Moderatoren: Thilo, stilz

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e.u.
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"Renée"

Beitrag von e.u. »

„Renée“ fehlt uns im Forum seit dem Sommer dieses Jahres. Sie wird sich nicht mehr melden können, denn am 8. Juni 2013 hat sie uns für immer verlassen müssen. Eine Stimme weniger, die vertraut war, viel - wenn nicht alles - wusste, das große Wissen um Rilke gern und geduldig mit uns teilte, wenn man sie ansprach und fragte. Nie war sie belehrend, aber immer konnte man von ihren manchmal auch recht knappen Beiträgen viel erfahren zur Person Rilkes, zu seiner persönlichen Umgebung und zu seinem Werk. Auch lernen, wie man mit einem Dichter 'leben' konnte, ohne ihm unkritisch zu verfallen. Was im Rilke-Forum bleibt, sind die vielen Beiträge (und oft auch Mails), die wir abrufen und nachlesen können: für eine kleine Ewigkeit. Auch die längeren Aufsätze im Marburger Philosophie Forum, auf http://www.rilke.ch/?p=119 bleiben uns, und natürlich in 'analoger' Form die dritte Ausgabe der 'Rilke-Chronik', die nun zum Vermächtnis von Dr. Renate Scharffenberg geworden ist. Wir danken und denken weiterhin gern an sie, die uns fehlen und bleiben wird: „Renée“.
helle
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Re: "Renée"

Beitrag von helle »

Es tut mir leid, das zu erfahren. Ich habe "Renées" kluge und unaufdringliche Beiträge zu diesem Forum geschätzt und bin ihr, also Frau Dr. Scharffenberg, einmal bei einer Tagung begegnet. Auch wenn sich keine Gelegenheit zu einem Gespräch ergab, hatte ich doch das Gefühl, daß sie das wenige, was ich zu der Tagung beigetragen habe, wohlwollend und zustimmend aufnahm.

Sie war so sehr mit Rilke verbunden - vielleicht war sie ja, für sich, allem Abschied voran, wie es in den Sonetten an Orpheus heißt, aber für das Rilke Forum ist es gewiß ein schwerer Abschied. Und jedenfalls für

helle
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lilaloufan
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Re: "Renée"

Beitrag von lilaloufan »

Die Sonnenuhr im Schloss Friedelhausen hast Du, liebe Renée, von Marburg aus oft aufgesucht, und uns hier die Inschrift – die letzten Zeilen davon – mitgeteilt:
  • Wann einst auf die Scheidestunde
    Wird zeigen die Sonnenuhr -
    Aus Engen uns ins Weite
    Ein ewiger Wille weist,
    Dann gib du das Geleite,
    Dem zagenden Menschengeist.
Wir haben uns dann gefragt: Was meint das „Du“ bei Luise Gräfin von Schwerin? Und haben herausgefunden: Angesprochen ist der „tiefe, der gebenedeite Friede“.

Der ist nicht von dieser Welt, aber nur solange er im Hiesigen gesucht wird, wird er unserer anderen Daseinsform bewahrt bleiben. Dir war er nicht geschenkt in unseren Zeitläuften, aber Du hast ihn gefunden. Und vieles von dem, was aus ihm das „Geleite“ geben kann, hast Du in schlichter, treuer, ja auch unendlich fleißiger Weise uns gereicht – kundig wie eine Dabeigewesene, und niemals mehr als erfragt war.

Danke!
Christoph
»Wir tragen leidenschaftlich den Honig des Sichtbaren ein, um ihn im großen goldenen Bienenstock des Unsichtbaren anzuhäufen.«
stilz
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Re: "Renée"

Beitrag von stilz »

Ich kannte Frau Dr. Scharffenberg leider nicht persönlich. Aber Renée – oder Arena, wie sie sich eine Zeitlang hier nannte – war einer der Menschen, die mich dazu veranlaßten, mich als Teilnehmerin hier im Rilke-Forum anzumelden: mit Menschen wie ihr wollte ich in Kontakt sein, mit ihnen gemeinsam an etwas „bauen“ - - -

Ich wußte zunächst nichts von ihr. Aber jedesmal, wenn ich im Forum ihren Namen las, freute ich mich darauf, zu lesen, was sie zu sagen hatte. Es waren meist ziemlich kurze und immer sehr freundliche Beiträge, die nicht nur von ihrer profunden Rilke-Kenntnis zeugten, sondern auch von etwas, für das ich kein besseres Wort habe als „Herzensbildung“.
Eines Tages las ich einen der Beiträge, die sie schon „vor meiner Zeit“ geschrieben hatte (Barbara hatte nach „Zeitzeugen Rilkes“ gefragt) – und geriet ins Staunen. Das Bild, das ich mir bis dahin von Renée gemacht hatte, strahlte nicht nur Weltoffenheit und Herzensbildung aus, sondern auch etwas wie Jugendlichkeit... ich kann kaum sagen, mit welchen Empfindungen ich dieses innere Bild nun im Äußerlichen ein wenig „korrigierte“. Meine Hochachtung war noch ein Stück gewachsen...

In den letzten Jahren tauschten wir einige private (elektronische) Briefe, und einmal kam es sogar zu einem Telefongespräch, das mir unvergeßlich geblieben ist. Kostbar bleibt mir auch das Duwort in ihren letzten beiden mails, das mich tief berührte...

Ein großer Schmerz ist Renate Scharffenberg nicht erspart geblieben - vor etwa zwei Jahren schrieb sie mir:
»Der Insel Verlag trennt sich nämlich von Rilke - man kann es kaum fassen, sie haben kein Interesse mehr daran. Meine „Chronik“ [...] und Rilkes Briefe an seine Mutter werden wohl das Letzte gewesen sein, was herausgebracht wurde. Von der "Chronik" sind dann im letzten Jahr nur sechs Exemplare verkauft worden: sie tun also gar nichts dafür... [...]
Es ist ein Jammer - und ich darf garnicht daran denken, was Anton und Katharina Kippenberg dazu sagen würden! Nicht einmal Rilkes Briefwechsel mit dem Insel-Lektor Hünich, an dem gearbeitet wird, soll bei der Insel erscheinen...«


Wer etwas übrig hat für oral history und zudem Renée noch nachträglich ein wenig näher kennenlernen will, dem empfehle ich, im Marburger Forum zu stöbern. Hier findet sich auch – unter vielem anderen – ihr Essay Eine Kindheit im alten Peking...

In den letzten Jahren wurden ihre Beiträge im Rilke-Forum seltener. Aber sie las noch regelmäßig mit, und es war ihr wichtig, uns das auch wissen zu lassen.
Noch in einer ihrer letzten mails an mich (vor etwas über einem Jahr) schrieb sie (und ich las darin auch so etwas wie eine ganz, ganz leise „Mahnung“):
»Ich bin ja immer noch oft im Rilkeforum, aber es kommen nur noch selten Fragen, die ich beantworten kann, und wenn, dann seid Ihr Lieben mir schon zuvorgekommen.«

Ich werde Renée sehr vermissen - die Gewißheit, daß sie mitlas, hatte einen großen Einfluß auf meine eigenen Beiträge hier im Forum, wie mir jetzt erst deutlich wird: sie war mir so etwas wie eine „Richtschnur“, ich prüfte alles, was ich hier sagte, ganz selbstverständlich, gewissermaßen „instinktiv“, an der Frage, was ein Mensch von ihrem „Format“ dazu sagen würde, ein Mensch, der obendrein Rilke beinahe noch persönlich gekannt hat (das erinnert mich an einen ihrer letzten Beiträge, der zeigte, daß auch der Humor nicht zu kurz gekommen war in ihrem langen Weg mit Rilke, der mich aber auch sehr nachdenklich machte...) - - -

Liebe Renée, diese „Richtschnur“ will ich auch künftig im Herzen tragen - ich betrachte sie nun als Dein Vermächtnis. Danke auch dafür.

Ingrid
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
sedna
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Re: "Renée"

Beitrag von sedna »

So wie der Föhn an den Bäumen rüttelt und jeden alten Baum Ast um Ast abtastet, ob er ihn nicht abknicken könne,
so rüttelt der Frühling an den alten Leuten, ob sie bald morsch genug seien.


Ein Gedanke aus einem Brief von Hermann Hesse, der mich zum Abschied von Renée noch einmal daran erinnert, wie beschwerlich es war, den langen, zähen Winter dieses Jahres abzuschütteln.
Bleibt zu wünschen, dass Renées letzter Frühling ein behutsamer und milder Frühling war!

Sich selbst bezeichnete Renate Scharffenberg als Schwamm, der alles Geistige aufsaugt .... Bücherwurm, der für Sport und Singen wenig übrig hatte.
Ihre Geschichte liest sich wie eine gelungene Verdichtung von Bewegendem zu Beweglichkeit im Geist.
Wer so unterwegs gewesen ist, mochte auf ein erfülltes Leben blicken.

Dank für diesen guten Geist im Forum und für alles Bleibende von ihr, das wirksam bleiben mag.

sedna
die ein ausbrechendes Lied in die Unsichtbarkeit wirft!
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