Der Kadett Rilke - eine unerfreuliche Episode
Verfasst: 2. Feb 2019, 18:54
Wir schreiben das Jahr 1915. Ein kalter Novemberabend. In seinem Schwabinger Garten verdorrt der letzte von Rilkes Hand liebevoll gepflanzte Rosenstock. Tiefes Sentiment erfasst unseren Dichter, wurde doch erst kürzlich der ganze in Paris zurückgelassene Besitz samt Manuskripten und den geliebten Büchern einer Versteigerung zur Schuldentilgung zugeführt. Da läutet es an der Pforte der Dichterklause, kurz darauf tritt Frau Klossowska ein und überbringt unserem Poeten ein Schriftstück, welches geeignet ist, ihn zutiefst zu erschüttern. Denn trotz aller Bemühungen Rilkes selbst sowie vieler seiner für ihn intervenierenden Sympathisanten wie dem Verleger Anton Kippenberg war es nicht möglich, den verhassten Einberufungsbefehl zu verhindern, als dieser stellt sich schließlich das von der Baladine überreichte Schreiben heraus. Damit hätte Rilke unverzüglich seinen Dienst im Waffenrocke als Kadett bei der Gebirgsjäger-Division IV in Eckernförde anzutreten. Diese Division befehligt in jenen unruhigen Tagen Rittmeister Graf Carl von Clausewitz - ja, der mit den "Grundsätzen des Kriegführens" -, deshalb muß der Versuch, dem Heere zu entkommen, ein untauglicher sein, der niemals von Erfolg gekrönt sein konnte. Ja, von Clausewitz bezeichnet Rilke klar als "Drückeberger", und so wenden sich Rilkens Gesinnungsgefährte Harry Graf Kessler, ja sogar Prinzessin Thurn an Kriegsminister Wild von Hohenborn persönlich, welcher ihm jedoch ebenfalls in einer lapidaren, in französisch (!) gehaltenen Depesche seinen deutlichen Unwillen darlegt, ihn vom Kriegsdienste zu absentieren ("En ce moment ma plume est rouillée et ne vauxpas le sou. Et le main meme qui la conduirait n'est pas heureuse. Le résultat était parfait. Organiquement tout parait absolument normale!"). Trotzig beschließt Rilke also, sich gottergeben den Herausforderungen zu stellen - gerade jetzt! "Reiten - reiten - reiten!", wobei er nicht ahnt, dass genau diese Wörter seinen Weltruhm vergrößern werden. Der "Cornet" (Desperations-Synonym zu Kadett vielleicht) ward geboren! Monate vergingen. Der Kadett Rilke hatte unerwartet eine durchaus zufriedenstellende Karriere beim Heere gemacht, zunächst als einfacher Kompanieschreiber, bald jedoch abkommandiert zum "Heldenfrisieren", wie sein Feldwebel es nannte, später zum Artillerie-Bataillon XII nach Vaduz, wo er es immerhin zum Kanonikus erster Klasse brachte. Ein größerer Einsatz an den Frontlinien blieb ihm glücklicherweise erspart: machte doch René Karls vulgo Rainer Marias Bataillonskommandant, Kenteradmiral Hanns von Witzleben, "den zarten Salonlöwen" zu seinem persönlichen Kriegsberichterstatter. Einen seiner Berichte druckte die "Weltbühne" 1917 ab: "Man konnte vieles erleben. Wenn ärarisches Geld im Spiele war, hatten sich wir Burschen wiederholt in Ille-et-Vilaine mit Champagner bezecht, dann das ganze Bordell freigehalten, einer Auserkorenen im Tête-à-Tête ein paar Banknoten geschenkt, und zwei haben sich im Morgengrauen auf der Straße mit dem Karabiner erschossen.“ Im Juni 1916 kehrt Rilke nach kurzer Konsultation des Professors Sigmund Freud in Wien - über den Grund der Visite kann man nur spekulieren, vermutet wird, daß er um zinsgünstigen Kredit (vergeblich) ansuchte - wieder zu seinem geliebten Brotberuf zurück und wendet sich der Fertigstellung der "Elegien" sowie einer Revision des "Cornets" zu. Eine unerfreuliche Episode im Leben unseres Dichters hatte ihr glückliches Ende gefunden. Mit sich und der Welt zufrieden setzt er sich an den kleinen Tisch im Turmzimmer des "Chateau" de Muzot, greift nach seinem Schreibzeug und notiert: "Reiten, reiten, reiten ... durch den Tag, durch die Nacht ..."
Nachbemerkung: Im Kippenberg'schen Nachlass wurde kürzlich unter einem Wust von Papieren auch ein handschriftliches Manuskript entdeckt, welches den Literaturwissenschaftern derzeit einige Rätsel aufgibt. Es handelt sich dabei um das unten stehende Gedicht, betitelt "Ein Wort zum Kriege", welches exakt in die Zeit von Rilkes Dienst im Waffenrocke fällt (1916 datiert) und teilweise durchaus schon damals Einigungsbestrebungen - EU-Vorlauf quasi - der Völker erkennen lässt. Rätselhaft bleibt nur die verwendete Signatur M.Z. (Marina Zwetajewa?), später durchgestrichen und durch R.M.R. (!) ersetzt. Jedenfalls glauben Graphologen in den mit für Rilke typischer rostbrauner Tinte verfassten Zeilen die Handschrift des Meisters zu erkennen. Ferner zeigt der hierbei verwandte Sprachduktus durchaus Züge rilkeschen Stils. Ein bislang unentdecktes Poem also? Ein Sensationsfund gar? Vielleicht kann ja der eine oder die andere Rilkologe/Rilkologin hier im Forum mit Hinweisen dienlich sein ...
Der Krieg ist nicht das letzte aller Ziele,
Er pflanzt den Tod, aus dem das Leben reift;
Gelobt das Herz, das seinen Sinn begreift,
Ob es auch jäh im Lärm der Schlachten fiele.
Dies ist der Sinn und dies ist die Vollendung:
Nicht um des Kampfes Lust im Kampf zu stehn.
Die Saat des Todes darf nicht taub verwehn,
Mit jedem Siege wächst die Pflicht zur Wendung!
Wir wollen mehr als den Triumph der Waffen,
Wir wollen mehr als den besiegten Feind,
Uns lockt der Sieg, der starke Völker eint,
Wir sind gewillt, Europa neu zu schaffen.
Wir bauen Städte auf und ziehen Straßen,
Wir schlagen Brücken im zerstörten Land;
Nicht der Vernichtung dient des Siegers Hand,
Sie führt den Krieg nach neu erkannten Maßen.
Es schaffen die entsandten Friedensheere
Aus Schutt und Trümmern einen neuen Sinn,
Aus jedem Schlachtfeld wächst ein Anbeginn,
Wächst junge Tat zu aller Opfer Ehre.
M.Z.
Nachbemerkung: Im Kippenberg'schen Nachlass wurde kürzlich unter einem Wust von Papieren auch ein handschriftliches Manuskript entdeckt, welches den Literaturwissenschaftern derzeit einige Rätsel aufgibt. Es handelt sich dabei um das unten stehende Gedicht, betitelt "Ein Wort zum Kriege", welches exakt in die Zeit von Rilkes Dienst im Waffenrocke fällt (1916 datiert) und teilweise durchaus schon damals Einigungsbestrebungen - EU-Vorlauf quasi - der Völker erkennen lässt. Rätselhaft bleibt nur die verwendete Signatur M.Z. (Marina Zwetajewa?), später durchgestrichen und durch R.M.R. (!) ersetzt. Jedenfalls glauben Graphologen in den mit für Rilke typischer rostbrauner Tinte verfassten Zeilen die Handschrift des Meisters zu erkennen. Ferner zeigt der hierbei verwandte Sprachduktus durchaus Züge rilkeschen Stils. Ein bislang unentdecktes Poem also? Ein Sensationsfund gar? Vielleicht kann ja der eine oder die andere Rilkologe/Rilkologin hier im Forum mit Hinweisen dienlich sein ...
Der Krieg ist nicht das letzte aller Ziele,
Er pflanzt den Tod, aus dem das Leben reift;
Gelobt das Herz, das seinen Sinn begreift,
Ob es auch jäh im Lärm der Schlachten fiele.
Dies ist der Sinn und dies ist die Vollendung:
Nicht um des Kampfes Lust im Kampf zu stehn.
Die Saat des Todes darf nicht taub verwehn,
Mit jedem Siege wächst die Pflicht zur Wendung!
Wir wollen mehr als den Triumph der Waffen,
Wir wollen mehr als den besiegten Feind,
Uns lockt der Sieg, der starke Völker eint,
Wir sind gewillt, Europa neu zu schaffen.
Wir bauen Städte auf und ziehen Straßen,
Wir schlagen Brücken im zerstörten Land;
Nicht der Vernichtung dient des Siegers Hand,
Sie führt den Krieg nach neu erkannten Maßen.
Es schaffen die entsandten Friedensheere
Aus Schutt und Trümmern einen neuen Sinn,
Aus jedem Schlachtfeld wächst ein Anbeginn,
Wächst junge Tat zu aller Opfer Ehre.
M.Z.