Oh! Richardo, die Einleitung meines allzurasch dahingeposteten Beitrags würde ich jetzt so nicht mehr schreiben; drei Mal hast Du „Ereignisse“ geschrieben, und ich meinte bis eben, „Augenblicke“ gelesen zu haben und habe in Aufbruchs-Eile „Momente“ daraus gemacht (und sogar Dich, @
gliwi, auf diese Fährte gelockt). Ja, so, mit dem Begriff „Ereignis“, finde ich die Aufgabe durchaus dem Schulgebrauch angemessen und leiste Deinem Lehrer hoffentlich noch rechtzeitig (es ist ja Sonntag) Abbitte.
Ans Requiem hatte ich auch gedacht; von Paula Modersohn-Beckers Tod im Herbst 1907 hin zu dem Eintreffen des Briefes über den Tod der 19-jährigen Tänzerin spannt sich ja ein biographischer Bogen. Rilke schrieb (
Renée hat es hier im Forum schon mal zitiert) in seiner Antwort:
- «Ich hatte das alles gar nicht geahnt, kaum von den Anfängen jener Krankheit wusste ich Genaueres -, und nun wars mit Einem die Einführung in ein mich so vielfältig Berührendes, Ergreifendes, Überwältigendes. Läse man dies, und es beträfe irgendein junges Mädchen, das man nicht gekannt hat, so wärs schon nahe genug. Und nun gehts Wera an, deren dunkler, seltsam zusammengefasster Liebreiz mir so unsäglich unvergesslich und so unerhört heraufrufbar ist, dass ich, im Augenblick, da ich dies schreibe, Angst hätte, die Augen zu schließen, um ihn nicht mit einem Male mich, in meinem Hier- und Gegenwärtigsein, ganz übertreffen zu fühlen.»
Und der Brief schließt:
- «...mir ists wie eine ungeheure Verpflichtung zu meinem Innersten und Ernstesten und (wenn ichs auch nur von fern erreiche) Seligsten gewesen, dass ich am ersten Abend eines neuen Jahres diese Blätter habe in Besitz nehmen dürfen.»
Das, was diesen Moment ("
berührend, ergreifend, überwältigend" und der eig'nen Entelechie ernst verpflichtend) mit der Entstehung der Sonette an Orpheus verbindet, verstehe ich in seiner Gesamtheit als ein «Ereignis».
Und nun bin ich gespannt, was Du @
helle zu
gliwis Beitrag schreiben wirst
.
Christoph
[Ergänzung am 9. März:] Es er-eignet sich, dass Rilke in seiner Seele die Kraft aufnimmt, mit den unsäglichen Schmerzen derselben Krankheit einmal in ähnlich reifer Haltung umzugeh’n, in «
Zusage ans Leben». Ereignis ist nicht bloß der Blitzschlag des Schicksals im äußeren Ablauf des Geschehens, ist nicht bloßes Datum einer Chronik. Ereignis heißt in diesem Sinne nämlich nicht E
VENTUS, sondern kommt bedeutungsgeschichtlich von
CONTINGERE {
ahd. arougnessi}, das frei auch so etwas bedeutet wie: „sich etwas angehen lassen“, „eine Offenbarung (
die (!) Er-Äugnis) aufnehmen“. Rilke benennt eine solche hier als das «
Hineingehören … ins Ganze, in ein viel mehr als Hiesiges».
Wenn ich so die wirklichen Er-Eignisse und inneren Erreichnisse im eigenen Leben aufsuche, komme ich zu einer Einsicht: Die meisten verdanke ich dem, dass andere Menschen, gleich ob gerecht oder ungerecht, wohlgesonnen oder gegnerisch, gedankenlos oder planvoll, meine leichten Erfolge aufgehalten, die Höhenflüge meines Talents um den Schwung gebracht haben: Nicht die Kür - das Anfängersein und Üben war Ereignis.