Und es ist wirklich bloß
dieser Brief gemeint, wenn man von "Rilkes Antisemitismus in Bezug auf Karl Kraus" spricht?
Also, da gehört allerdings wirklich sehr viel dazu, sich
aus diesem Brief zu konstruieren, daß Rilke die Freundin vor Karl Kraus warnen wollte,
weil dieser ein Jude war.
Ich kenne die Kraus-Biographie von Paul Schick nur insoweit, als
Harald sie zitiert hat.
Aber zu
Paul Schick hat geschrieben:Und nun folgen die ziselierten <aber> und <trotzdem> und der Hinweis auf einen <letzten, untilgbaren Unterschied>.
möchte ich doch bemerken, daß Rilke mit diesen (bzw ganz ähnlichen, "un
austilgbar" heißt es hier auf rilke.de) Worten
nicht auf einen Unterschied hinweist, der
im Wesen von Karl Kraus läge.
Sondern im Gegenteil, Rilke rät
der Freundin zu Distanz und spricht von Karl Kraus als
ein(em) Geist, der auf den Ihren vom glücklichsten Einfluß sein kann, wenn ... wenn: die Distanz keinen Moment verloren geht, wenn Sie irgend einen letzten unaustilgbaren Unterschied, auch im Geistigsten noch, zwischen sich und ihm aufrechthalten:
(Unterstreichung von stilz)
Es geht hier also nicht um einen "Unterschied", der niemals aufgehoben werden könnte. Sondern um einen solchen, der
aktiv aufrechterhalten werden müßte, um bestehen zu bleiben... Und Rilke begründet diesen Rat gleich im nächsten Satz nicht mit Kraus' "jüdischer Fremdheit", sondern:
denn so viel er sein mag und ist, die Anwendung, die er seinem Geiste geben mußte, hat aus diesem ein zu einem bestimmten Gebrauche einseitig geschärftes Instrument gemacht, - Sie stehen da nicht der lieben, rein bewegten Geistigkeit eines fühlenden und sich mittheilenden Menschen -, Sie stehen einer Waffe, einem Bewaffneten, einem geistigen Angreifer gegenüber, und die natürliche Gegenseitigkeit dieses Gegenüberstehens ist nur solange fruchtbar, als Sie sich irgendwie wehren; wenn sich Freundschaft daraus ergiebt, so kann es nur eine Freundschaft ganz in Waffen sein, zu dem Zwecke, daß die Ihrigen daran sich übten.
(Unterstreichung von stilz)
Nun muß ich zwar gestehen: ich habe mich bisher nicht sehr ausführlich mit Karl Kraus beschäftigt.
Aber nach allem, was ich bisher von ihm und auch über ihn gelesen habe, scheint mir diese Beschreibung Rilkes, er sei ein "Bewaffneter" und sein Geist ein sehr "geschärftes Instrument", ziemlich zutreffend zu sein.
Ich finde wirklich nicht, daß man aus einer Besorgnis um die Freundin ob solcher "Bewaffnung" (gleichgültig, wie berechtigt oder unberechtigt diese Besorgnis gewesen sein mag) irgendwelche antisemitischen Einstellungen Rilkes konstruieren sollte.
Gibt es außer diesem Brief noch irgendwelche "Indizien"?
Lieben Gruß
stilz