Der Kadett Rilke - eine unerfreuliche Episode

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Georg Trakl
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Der Kadett Rilke - eine unerfreuliche Episode

Beitrag von Georg Trakl »

Wir schreiben das Jahr 1915. Ein kalter Novemberabend. In seinem Schwabinger Garten verdorrt der letzte von Rilkes Hand liebevoll gepflanzte Rosenstock. Tiefes Sentiment erfasst unseren Dichter, wurde doch erst kürzlich der ganze in Paris zurückgelassene Besitz samt Manuskripten und den geliebten Büchern einer Versteigerung zur Schuldentilgung zugeführt. Da läutet es an der Pforte der Dichterklause, kurz darauf tritt Frau Klossowska ein und überbringt unserem Poeten ein Schriftstück, welches geeignet ist, ihn zutiefst zu erschüttern. Denn trotz aller Bemühungen Rilkes selbst sowie vieler seiner für ihn intervenierenden Sympathisanten wie dem Verleger Anton Kippenberg war es nicht möglich, den verhassten Einberufungsbefehl zu verhindern, als dieser stellt sich schließlich das von der Baladine überreichte Schreiben heraus. Damit hätte Rilke unverzüglich seinen Dienst im Waffenrocke als Kadett bei der Gebirgsjäger-Division IV in Eckernförde anzutreten. Diese Division befehligt in jenen unruhigen Tagen Rittmeister Graf Carl von Clausewitz - ja, der mit den "Grundsätzen des Kriegführens" -, deshalb muß der Versuch, dem Heere zu entkommen, ein untauglicher sein, der niemals von Erfolg gekrönt sein konnte. Ja, von Clausewitz bezeichnet Rilke klar als "Drückeberger", und so wenden sich Rilkens Gesinnungsgefährte Harry Graf Kessler, ja sogar Prinzessin Thurn an Kriegsminister Wild von Hohenborn persönlich, welcher ihm jedoch ebenfalls in einer lapidaren, in französisch (!) gehaltenen Depesche seinen deutlichen Unwillen darlegt, ihn vom Kriegsdienste zu absentieren ("En ce moment ma plume est rouillée et ne vauxpas le sou. Et le main meme qui la conduirait n'est pas heureuse. Le résultat était parfait. Organiquement tout parait absolument normale!"). Trotzig beschließt Rilke also, sich gottergeben den Herausforderungen zu stellen - gerade jetzt! "Reiten - reiten - reiten!", wobei er nicht ahnt, dass genau diese Wörter seinen Weltruhm vergrößern werden. Der "Cornet" (Desperations-Synonym zu Kadett vielleicht) ward geboren! Monate vergingen. Der Kadett Rilke hatte unerwartet eine durchaus zufriedenstellende Karriere beim Heere gemacht, zunächst als einfacher Kompanieschreiber, bald jedoch abkommandiert zum "Heldenfrisieren", wie sein Feldwebel es nannte, später zum Artillerie-Bataillon XII nach Vaduz, wo er es immerhin zum Kanonikus erster Klasse brachte. Ein größerer Einsatz an den Frontlinien blieb ihm glücklicherweise erspart: machte doch René Karls vulgo Rainer Marias Bataillonskommandant, Kenteradmiral Hanns von Witzleben, "den zarten Salonlöwen" zu seinem persönlichen Kriegsberichterstatter. Einen seiner Berichte druckte die "Weltbühne" 1917 ab: "Man konnte vieles erleben. Wenn ärarisches Geld im Spiele war, hatten sich wir Burschen wiederholt in Ille-et-Vilaine mit Champagner bezecht, dann das ganze Bordell freigehalten, einer Auserkorenen im Tête-à-Tête ein paar Banknoten geschenkt, und zwei haben sich im Morgengrauen auf der Straße mit dem Karabiner erschossen.“ Im Juni 1916 kehrt Rilke nach kurzer Konsultation des Professors Sigmund Freud in Wien - über den Grund der Visite kann man nur spekulieren, vermutet wird, daß er um zinsgünstigen Kredit (vergeblich) ansuchte - wieder zu seinem geliebten Brotberuf zurück und wendet sich der Fertigstellung der "Elegien" sowie einer Revision des "Cornets" zu. Eine unerfreuliche Episode im Leben unseres Dichters hatte ihr glückliches Ende gefunden. Mit sich und der Welt zufrieden setzt er sich an den kleinen Tisch im Turmzimmer des "Chateau" de Muzot, greift nach seinem Schreibzeug und notiert: "Reiten, reiten, reiten ... durch den Tag, durch die Nacht ..."
Nachbemerkung: Im Kippenberg'schen Nachlass wurde kürzlich unter einem Wust von Papieren auch ein handschriftliches Manuskript entdeckt, welches den Literaturwissenschaftern derzeit einige Rätsel aufgibt. Es handelt sich dabei um das unten stehende Gedicht, betitelt "Ein Wort zum Kriege", welches exakt in die Zeit von Rilkes Dienst im Waffenrocke fällt (1916 datiert) und teilweise durchaus schon damals Einigungsbestrebungen - EU-Vorlauf quasi - der Völker erkennen lässt. Rätselhaft bleibt nur die verwendete Signatur M.Z. (Marina Zwetajewa?), später durchgestrichen und durch R.M.R. (!) ersetzt. Jedenfalls glauben Graphologen in den mit für Rilke typischer rostbrauner Tinte verfassten Zeilen die Handschrift des Meisters zu erkennen. Ferner zeigt der hierbei verwandte Sprachduktus durchaus Züge rilkeschen Stils. Ein bislang unentdecktes Poem also? Ein Sensationsfund gar? Vielleicht kann ja der eine oder die andere Rilkologe/Rilkologin hier im Forum mit Hinweisen dienlich sein ...


Der Krieg ist nicht das letzte aller Ziele,
Er pflanzt den Tod, aus dem das Leben reift;
Gelobt das Herz, das seinen Sinn begreift,
Ob es auch jäh im Lärm der Schlachten fiele.

Dies ist der Sinn und dies ist die Vollendung:
Nicht um des Kampfes Lust im Kampf zu stehn.
Die Saat des Todes darf nicht taub verwehn,
Mit jedem Siege wächst die Pflicht zur Wendung!

Wir wollen mehr als den Triumph der Waffen,
Wir wollen mehr als den besiegten Feind,
Uns lockt der Sieg, der starke Völker eint,
Wir sind gewillt, Europa neu zu schaffen.

Wir bauen Städte auf und ziehen Straßen,
Wir schlagen Brücken im zerstörten Land;
Nicht der Vernichtung dient des Siegers Hand,
Sie führt den Krieg nach neu erkannten Maßen.

Es schaffen die entsandten Friedensheere
Aus Schutt und Trümmern einen neuen Sinn,
Aus jedem Schlachtfeld wächst ein Anbeginn,
Wächst junge Tat zu aller Opfer Ehre.

M.Z.
stilz
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Re: Der Kadett Rilke - eine unerfreuliche Episode

Beitrag von stilz »

Ach, der Herr Trakl...
Schon wieder versuchen Sie, Rilke etwas unterzuschieben, das Sie irgendwo „gefunden“ haben... Warum eigentlich? Das sind tatsächlich unerfreuliche Episoden hier im Forum.

»Wenn ärarisches Geld im Spiele war, hatten sich die Burschen wiederholt in Bjelina mit Champagner bezecht, dann das ganze Bordell freigehalten, einer Auserkorenen im Tête-à-Tête ein paar Banknoten geschenkt, und zwei haben sich im Morgengrauen auf der Straße mit dem Karabiner erschossen.« --- so schrieb jedenfalls nicht Rainer Maria Rilke, sondern Egon Erwin Kisch. Nachzulesen in seinem Kriegstagebuch, in der Eintragung für »Dienstag, den 8. Dezember 1914«; das Tagebuch ist unter dem Titel »Schreib das auf, Kisch!« im Aufbau Verlag erschienen.

Zur „Konsultation“: Sigmund Freud schreibt am 27 Juli 1916 an Lou Andreas-Salomé: »[Rilke], dem ich zur Rückkehr in seine Poetenfreiheit gratulieren möchte, hat uns in Wien deutlich genug zu erkennen gegeben, daß 'kein ewger Bund mit ihm zu flechten' ist. So herzlich er bei seinem ersten Besuch war, es ist nicht gelungen, ihn zu einem zweiten zu bewegen.«
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Georg Trakl
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Re: Der Kadett Rilke - eine unerfreuliche Episode

Beitrag von Georg Trakl »

Verehrte(r) Stilz!
Den von Ihnen herbeigeschriebenen Widerspruch kann und will ich nicht gelten lassen. Wie in Germanistenkreisen durchaus bekannt, hat Kisch den von Ihnen monierten Satz aus "Zaren, Popen, Bolschewiken" als prototypisch von Rilke übernommen und lediglich das von diesem Erlebte in schriftstellerischer Freiheit nach Bjelina verlegt (auch Kisch war fake news also durchaus nicht abhold).
Zu Freud: nichts Anderes habe ich geschrieben. Der Professor war dem Dichter - der glaubte, Freud würde ihn als quasi "Persona prominentia" kostengünstig oder gar gratis behandeln - einfach zu teuer, und so - ohnehin in ständigen Geldnöten - verzichtete Rilke einfach auf eine zweite Konsultation. Vielleicht war auch ein von Rilke geplanter Abtausch Lyrik gegen eine Behandlung seiner depressiven Grundstimmung nicht erfolgreich. Man kann nur Vermutungen anstellen, das wäre jedoch unseriös. Wenigstens gab ihm Freud, obwohl frustriert, noch eine gute Nachrede mit auf den Weg ...

Herzlich, Ihr G. Trakl jun.
stilz
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Re: Der Kadett Rilke - eine unerfreuliche Episode

Beitrag von stilz »

Spaßvogel Georg Trakl jun. hat geschrieben:Wie in Germanistenkreisen durchaus bekannt, hat Kisch den von Ihnen monierten Satz aus "Zaren, Popen, Bolschewiken" als prototypisch von Rilke übernommen
Das fällt mir sehr schwer zu glauben – nicht nur, weil ich an diesem Satz nichts finde, das ich als »prototypisch für Rilke« ansehen könnte, sondern auch, weil es die „Weltbühne“, die, wie Sie sagen, den Bericht, aus dem dieser angebliche Rilke-Satz stammen soll, 1917 abgedruckt habe --- weil es dieses Blatt unter dem Namen „Weltbühne“ erst seit dem 4. April 1918 gab.


Und vor allem diese Ihre Vermutung lasse ich nicht so stehen:
Spaßvogel Georg Trakl jun. hat geschrieben:Der Professor war dem Dichter - der glaubte, Freud würde ihn als quasi "Persona prominentia" kostengünstig oder gar gratis behandeln - einfach zu teuer, und so - ohnehin in ständigen Geldnöten - verzichtete Rilke einfach auf eine zweite Konsultation.
Nicht jeder Besuch bei Sigmund Freud war eine Konsultation. In Rilkes Fall gab es nicht nur keine zweite, sondern auch keine erste Konsultation.
Am 13. Dezember 1925 schreibt Freud*):
Sigmund Freud hat geschrieben:Ich habe Rilkes Bekanntschaft 1913 in München gemacht […]. Während des Krieges 1914 oder 1915 war er in Wien, hat mich telephonisch angerufen, eine Einladung zum Mittagessen angenommen und uns alle durch seine Konversation und seine Erzählungen entzückt. Seither habe ich ihn aber nicht wiedergesehen. Ich habe keinen Grund anzunehmen, daß er sich besonders für Psychoanalyse interessiert oder ihr sympathisch gegenübersteht.
Wie aus Rilkes Brief an Emil Freiherrn von Gebsattel erhellt, hatte der Dichter seine besonderen Gründe dafür, der Psychoanalyse nicht näherzutreten:
Rainer Maria Rilke hat geschrieben:Nämlich, ich bin über die ernstesten Erwägungen zu dem Ergebnis gekommen, daß ich mir den Ausweg der Analyse nicht erlauben darf, […]
daß ich mich vielmehr […] doch unendlich stark an das einmal Begonnene, an alles Glück und alles Elend, das es mit sich bringt, gebunden fühle, so daß ich, strenggenommen, keinerlei Änderung wünschen kann, keinen Eingriff von außen, keine Erleichterung, es sei denn die im Überstehen und in der endlichen Leistung einheimische.
Vielleicht sind gewisse meiner neulich ausgesprochenen Bedenken sehr übertrieben; so viel, wie ich mich kenne, scheint mir sicher, daß, wenn man mir meine Teufel austriebe, auch meinen Engeln ein kleinen, ein ganz kleiner (sagen wir) Schrecken geschähe, - und - fühlen Sie - gerade darauf darf ich es auf keinen Preis ankommen lassen.
Rilke war davon überzeugt*), die Psychoanalyse wäre
Rainer Maria Rilke hat geschrieben:eine zu gründliche Hülfe für mich, sie hilft ein für alle Mal, sie räumt auf, und mich aufgeräumt zu finden eines Tages, wäre vielleicht noch aussichtsloser als diese Unordnung.
In einem anderen Brief*) spricht Rilke gar von seinem Empfinden,
Rainer Maria Rilke hat geschrieben:daß ich aufhören müßte zu arbeiten, sobald irgendwelche Stimmen mich über das Verhältnis zu meiner Arbeit, über ihre Art, ihren Ursprung, ihren Verlauf aufzuklären vermöchten. In meiner völligen Unbefangenheit dieser Arbeit gegenüber, meinem sie-nicht-kontrollieren-Können, meinem Nichts-von-ihr-Wissen beruht (ich weiß es nicht anders zu sagen) das Wesentliche meiner inneren Sicherheit.
*) zitiert nach »Freuds Schlüssel zu Dichtung. Drei Beispiele: Rilke, Lovecraft, Bernd« von Peter Priskill


Also, Herr Spaßvogel:
Ich bitte Sie ernstlich, Ihre Vermutungen in Zukunft als Vermutungen zu kennzeichnen und nicht so zu tun, als handle es sich dabei um Tatsachen.

Da hört sich für mich der Spaß auf.
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Georg Trakl
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Re: Der Kadett Rilke - eine unerfreuliche Episode - Offener Brief

Beitrag von Georg Trakl »

Verehrte(r) Stilz,
Ihre erhellenden Bemerkungen sind für das geneigte Publikum hier im Forum sicherlich wohltuend. Kann man doch in Zeiten wie diesen, wo selbst hochmögende WissenschafterInnen oft nicht zwischen Realsatire, Wahrheit oder gar Fake news zu unterscheiden vermögen oder vielleicht auch gar nicht willens dazu sind, über den Sinn- und Wahrheitsgehalt diverser Postings geteilter Meinung sein. Ich jedenfalls als glühender Verfechter historischer Wahrheit, der niemals die Niederungen ungeprüfter Fakten zu betreten wagte - ich fühle mich dazu schon im Sinne meines Urahns verpflichtet - ließe mich gerne von Ihnen eines Besseren belehren, wenn - ja wenn - Sie, verehrte(r) Stilz, mich vom Wahrheitsgehalt der von Ihnen dargebrachten "Korrekturen" überzeugen könnten. Restlos ist dies Ihnen bislang nicht gelungen. Versuchen Sie es weiter, vielleicht wird's ja noch ...
Weiters: Fanden Sie am Anfang meiner Umtriebigkeit hier im von mir hoch geschätzten und von Thilo hervorragend betreuten Rilke-Forum den einen oder anderen Beitrag aus meiner elektronischen Feder noch amüsant (weshalb eigentlich?) und haben Sie mir - einer Adelung gleich - sogar ein eigenes Unterforum gewidmet, so muß ich in letzter Zeit bemerken, dass Ihre Worte an mich zunehmend gehässiger bis abschätzig werden. So bezeichnen Sie mich hier coram publico als "Spaßvogel", was ich ja durchaus noch augenzwinkernd angehen lassen könnte; mit der bissigen Schlußfloskel "Da hört sich für mich der Spaß auf" entziehen Sie aber dem Substantivum "Spaßvogel" den "Spaß", und es bleibt nur noch der ehrenrührige Begriff "Vogel" für mich übrig. Da hört sich auch für mich der Spaß auf, und ich ersuche Sie, so untergriffige Bezeichnungen wie besagtes "Vogel", auf meine Person bezogen, zu unterlassen. Ich verbleibe jedoch in der guten Hoffnung, keine Fehlbitte geleistet zu haben. Gehen Sie in sich!

Herzlich, Ihr Georg Trakl jun.
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