Rose

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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gliwi
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Beitrag von gliwi »

Ich bin zwar keine Medizinerin, aber ich denke, niemand kann von einem Rosendorn Leukämie bekommen. Sonst müssten ja schon Hekatomben von Gärtnern und Rosenzüchtern an Lekämie erkrankt sein. Es wird wohl so sein, dass durch die nicht heilende Verletzung offenbar wurde, dass Rilke Leukämie hatte. Gruß Gliwi
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo Gliwi,

faktisch ist dein Einwand natürlich berechtigt, da erübrigt sich jegliche Diskussion. Aber andererseits werde ich immer hellhörig, wenn sich Mythen und Legenden um ein Ergeignis oder eine Person bilden. Vielleicht werden aus dem kollektiven Unbewussten heraus seelische Zusammenhänge erkannt und in diesen Geschichten transportiert, die weit aussagekräftiger sind als die "wirklichen" Geschehnisse. Der Zusammenhang der Begriffe Rose -Liebe -Blut ist jedenfalls nachvollziehbar. Man könnte z. B. auch fragen, ob es eine gemeinsame Ursache für Rilkes Liebe zu Rosen und der Neigung zu Bluterkrankungen gibt. Das gilt nicht für jeden, ich weiß. Bei mir stimmt es allerdings (deswegen das Interesse daran): ich habe ca. 100 wunderschöne, teils sehr alte Rosen (alt in Bezug auf ihre Herkunft) und habe ebenfalls mit Bluterkrankungen zu tun. Alles nur "Zufall"?
Wer in der Rose nur die schöne, gut duftende Blume sieht, kann mich vielleicht nicht verstehen. Vielleicht spiegelte sich für Rilke in der Schöpfung der Rose das "schrecklich-Schöne", das er in den Elegien im nicht-irdischen Engel erkannte?

Liebe Grüße M.
gliwi
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Beitrag von gliwi »

Einverstanden, liebe Marie. Die Rose ist auf jeden Fall etwas ganzBesonderes für DichterInnen. "Nur eine Rose als Stütze" von HildeDdomin fällt mir da ein. Und die Rose des kleinen Prinzen. Aber sag mal, 100 alte Rosen, das muss ja eine Pracht sein! Und viel Arbeit!Gruß Christiane
Marie
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Beitrag von Marie »

Ja, du hast recht: Rosen sind durchaus oft eine "Stütze". Sie zu pflegen, empfinde ich eher als Erholung (trotz der vielen Dornen!) Rilke, der, wie ich vermute, für häusliche Aufgaben nicht sonderlich tauglich war, muss das ähnlich gesehen haben; z.B. in Briefen aus Muzot erwähnt er nicht nur die Rosenpracht, sondern auch die aufwändige Pflege.
Es ist übrigens eigenartig, dass besonders die alten Sorten, die durch ihre Erscheinung und ihren Duft schon fast Transzendenz vermitteln (man erschrickt fast, wenn sie dann doch irgendwann verblühen), mit härtesten Bedingungen wie eisigen Temperaturen und steinigen Böden klar kommen und als Anpassungs- und Überlebenskünstler überraschen.
Bevor ich ins Rosen-Forum verbannt werde, belassen wir es lieber dabei!

Liebe Grüße M.
Nina

Rose

Beitrag von Nina »

Wie bekannt, ging fuer Reiner Maria Rilke alle Schoenheit in Pflanzen auf, sie waren ihm eine dauernde Form von Liebe und Sehnsucht. Die beliebteste aller Blumen - die Rose - war fuer ihn in ihrer Pracht das Sinnbild der Vollkommenheit. Es scheint einen Zusammenhang zwischen Rilkes Bluterkrankung und seiner Liebe zur Rose zu geben. Diese Bluete enthaelt viel Lebensenergie, in ihr liegt auch Spannung von Zartheit und Kraft. Vielleicht darf man sagen, dass es ein unterbewusster Trieb zur Fülle des Lebens waere?

Gruss

Nina
Nina

Rose

Beitrag von Nina »

Liebe Marie,

ich denke immer wieder an dich und deine wunderschoenen Rosen, ueber die du so beeindruckend erzaehlt hast. Gern moechte ich deine alten Rosen auf einem Foto sehen. Ist es moeglich?

Mit herzlichen Gruessen

Nina
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo Nina,

als vorgestern die erste Rose aufblühte, hatte ich genau diesen Gedanken, u. a. durch Volkers Bild vom Eselkarren ausgelöst. Leider habe ich noch keine Digitalkamera, aber ich könnte einen Bekannten bitten, ein paar Aufnahmen zu machen. In unserer Lage blühen die Rosen etwas später, deshalb kann es noch etwas dauern. Ich hatte in den letzten Tagen auch das etwas ruhelose Gefühl, dass ich vielleicht nicht mehr all zu lange ins Forum kommen kann und mich gerne mit ein paar Rosenbildern verabschiedet hätte. Aber das war nur ein Impuls, irgend so ein neuer "Wind", der womöglich noch auf sich warten lässt...
Auf jeden Fall habe ich mich über deine netten Zeilen sehr gefreut, vielen Dank!

Liebe Grüße M.
Nina

Beitrag von Nina »

Liebe Marie,

herzlichen Dank fuer Deine lieben Zeilen und dein Vorhaben, uns einige Bilder von deinen herrlichen Rosen zu schicken. Ich wuensche dir bald wieder gesund zu sein und Stammgast des Forums zu sein.

Kennst du Rilke's Gedicht "Verkuendigung"? Es gefaellt mir sehr. Dadurch habe ich Rilke entdeckt.

Mit lieben Gruessen

Deine Nina
Marie
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Beitrag von Marie »

Liebe Nina,

ich habe zwar immer noch nicht entdeckt, wie ich meine Rosenbilder ins Forum stellen kann, aber ich habe mit einer Homepage begonnen, auf der einige meiner Rosen zu sehen sind (bis jetzt erst fünf inkl. einer Pfingstrose- habe gestern erst angefangen). Ich hoffe, das ist eine kleine Entschädigung?! Ich stelle in den nächsten Tagen noch weitere Bilder rein:

http://www.klschaefer.privat.t-online.de

Ich habe mir die "Verkündigung" wieder durchgelesen! Es freut mich immer sehr, wenn Rilkes Gedichte in einem Menschen etwas zum Schwingen bringen - und das hat er bei dir ja anscheinend vollbracht!

Alles Gute und liebe Grüße
Nina

Rose

Beitrag von Nina »

Liebe Marie,

herzlichen Dank fuer deine wunderschoenen Rosen! Du bist Spitze! :lol: Man muss viel Liebe haben, um eine solche Pracht zu schaffen. Als ich sie und auch andere Blumen aus deinem Garten betrachtete, dachte ich: "Diese Blumen sind ein Himmel, der auf die Erde gefallen ist". Die angefuehrten genialen Gedichte passen gut zu deinen Blumen, obwohl einige von den Gedichten wehmuetig klingen. Ich bin tief bewegt.

Mit lieben Gruessen

Nina
Gast

Beitrag von Gast »

Marie,

Ich sah mir deine Rosenbilder an - bezaubernd!
Ein Sprichwort sagt "Wenn man zu lange unter Blumen ist, sieht man nur noch Blumen, wenn man die Augen schliesst."
Und du kannst das täglich tun ... wie schön.

Liebe Grüsse,

Nejka
Marie
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Beitrag von Marie »

Ich bin heute gerade aus dem Urlaub zurückgekommen und bin natürlich zuerst mal in den Garten gegangen, um nach den Pflanzen (nicht nur den Rosen!) zu sehen. Wegen der extremen Hitze war ich schon etwas besorgt, aber gerade die Rosen sind nicht nur schön, sondern auch erstaunlich zäh!

Ich freue mich über eure Zustimmung bzgl. der Rosenbilder. Hoffentlich habe ich demnächst etwas Zeit, die Sammlung nebst Gedichten zu erweitern.

Den Urlaub hatte ich ganz bewusst ohne Rilke verbracht (nicht mal einen winzig kleinen Gedichtband im Gepäck!), aber als ich eben den ersten Duino Bericht gelesen habe, war es dann auch gleich vorbei mit "Enthaltsamkeit"! Trotzdem war die "Entziehungskur" wohl mal nötig - meine Familie fand es anscheinend auch ganz erholsam.

Ganz liebe Grüße :D
Marie
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Beitrag von Marie »

Hallo Nina,

ich möchte doch noch mal auf deine Ausgangsfrage wegen des Grabspruchs zurückkommen. Als ich vor ein paar Tagen Das Testament las, kam mir eine Interpretation in den Sinn, die wir bisher völlig ausgelassen hatten, vielleicht, weil sie nicht so großartig und eher traurig ist...
Erst mal die Gedankenbruchstücke dazu, dann fasse ich’s zusammen.

Rilke schrieb im Testament im Hinblick auf seine Beziehung zu Baladine über die Unmöglichkeit der Liebe zwischen Mann und Frau, da sie immer in Abhängigkeit bzw. Unterwerfung mündet.

„Wohnen in den Umarmungen kann nur der, der auch in ihnen sterben darf;“

An anderer Stelle erläutert er, dass er seinen Gefühlen nicht nachgeben darf: „Denn, wenn ich alles Meinige aufgäbe und (...) blindlings in Deine Arme überginge, mich darin verlöre -, so hieltest Du ja eben einen, der sich aufgegeben hat: nicht mich, nicht mich.“

Er gab sich immer ganz und gar dem Leben hin, um das Leben als Ganzes zu erfahren (nicht wie der Asket, der der Welt entflieht, um sich die geistige Welt anzueignen). Es ist der gefährlichere Weg, sich ganz auf den Sog des Weltlichen einzulassen und dennoch die mystischen Ziele zu verfolgen. Es ist der Kampf um die Einheit hinter dem „reine(n) Widerspruch“.
Rilke scheiterte, was die Erfüllung dieses Zieles anbelangt. Der Widerstreit von Werk und Leben hatte ihn zermürbt und lebens-müde gemacht. Das sich-immer-wieder-aufgeben in den zahlreichen Beziehungen ist wie ein Schlaf, der niemals Erholung bringt. Ich glaube, dass er sich aus allen emotionalen Verstrickungen, die als klägliches Abfallprodukt der Liebesbeziehungen übrig blieben, befreien wollte. Da er aber das Sterben im Leben bzw. in der Liebe nicht erfahren durfte, ersehnte er den Tod als letzten Retter. „Niemandes Schlaf“ zu sein, könnte der Wunsch sein, aus allen Bindungen und dem Dilemma des nie-ganz-sich-selbst-sein in der Liebe zu entkommen.

Die Blütenblätter der Rosen, die er sich gerne auf die Augen legte, ließen ihm die Einheit von materieller und geistiger Welt spürbar werden: sie sind in ihrer Schönheit, in Farben und Duft ganz und gar irdisch und doch auch weich und leicht, durchscheinend und transzendent, ohne das Auge zu erdrücken, zu erblinden und in den Schlaf zu zwingen. In ihnen wird der „reine Widerspruch“ zur Einheit. Alle seine Erfahrungen in der Welt sollten sich – so vielleicht seine Hoffnung – im Tod in „so viele Lider“ (Rosenblüten) verwandeln, um nie wieder irgend jemandes Schlaf („Niemandes Schlaf“) sein zu müssen.

Das traurige ist, dass dies einer Kapitulation gleich kommt. IM Leben den Tod zu verwirklichen, ist etwas anderes, als die Sehnsucht nach dem Tod, um dem Leben zu entfliehen. Ich glaube nicht einmal, dass das möglich ist. Ein Ziel, das einmal gesetzt wurde und das in den Duineser Elegien so großartig gestaltet wurde („Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen.“, oder „Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar/ in uns erstehn?“) verlangt unwiderruflich nach seiner Verwirklichung – nicht einmal der physische Tod kann m. E. diese Sehnsucht (nicht nur Rilkes Sehnsucht, sondern die der gesamten Schöpfung) auslöschen!

Ihr könnt mich von mir aus auslachen (einige nicht, das weiß ich!), aber manchmal befürchte ich, er ist schon wieder am Ende dieser Sackgasse angelangt und denkt ans Aufgeben und ich wünsche mir, eine große unsichtbare Schere zu haben, mit der ich alle seine blöden Verstrickungen einfach durchschneiden kann! Vielleicht schafft es ja dann endlich der „Engel“ (den er rief!), ihn mit samt seiner unsichtbaren Erde „nach oben zu beamen“!!!

Ganz liebe Grüße :shock:
Marie
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Beitrag von Marie »

.... das mit der Schere war natürlich Quatsch, weil "unbedingt helfen wollen" ist auch nichts anderes als "nicht loslassen können" und Nicht-Akzeptanz des Schicksals eines anderen Menschen. Ich bin nun mal von der Weisheit der Seele überzeugt, die sich auch die übelsten Verstrickungen letzten Endes nur zu dem Zweck auferlegt, um wie der Sonnenvogel, Phönix, noch strahlender heimzukehren und dadurch das sog. Böse zu heiligen (das "winterwährige Laub"...) - und das ist etwas anderes als alles Übel verwandeln oder (mein Lieblingsschimpfwort!) missionieren zu wollen; es ist das "Ja" zu ALLEM - und da Rilke dieses "Ja" in der Dichtung gefunden hat, wird es sicher auch im Leben (in welchem auch immer) Wirklichkeit.

Ich habe zur Grabschrift noch etwas gefunden: in der Reihe Köpfe des 20. Jh. die Kurzbiographie über RMR von Arnold Bauer:

Der Essayist Fritz Usinger hat den vielleicht einsichtigsten Deutungsversuch der wunderlichen Grabschrift unternomen: "So verbirgt sich hinter dieser Aussage des Dichters Klage, eine Lebensklage, die mit dem Gegenstand der Klage, dem Schlaf, der Müdigkeit, nichts anderes meint als die Erschöpfbarkeit der menschlichen Kräfte, den Zwiespalt zwischen Sein und Anspruch. Dies aber ist das große Lebens- und Leidensdilemma des Dichters..."

...das geht in etwa in die Richtung dessen, was ich im letzten Beitrag geschrieben habe.

Viele Grüße :D
Barbara
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Beitrag von Barbara »

Hallo,

...am 15.7.1922 schreibt R.M. Rilke an Gräfin Sizzo aus Muzot und schickt zwei Rosenblätter mit:

"Kennen Sie diese Art der wilden Rose? man sieht sie selten, und es hat mir solchen Eindruck gemacht, sie hier zu finden, weil (wie ich aus einer der großen Pariser Rosen-Ausstellungen erinner) dieses die Rose der Antike war, und die Rose Persiens; wo in der griechischen Anthologie oder überhaupt im orientalischen Gedicht die Rose gefeiert ist, muß man sich diese Rose vortellen, mit einfachem Kelch und in den Farben der entfachten, freudigen, rein gespeisten Flamme.
Dieses orientalische (oft so essenzhafte) Gedicht, wie hat Rodin (da sie gerade über ihn lesen) es bewundert und geliebt. Oft kam er mit aufgeschlagenem Buch (es war des Dr. Mardrus berühmt gewordene Übertragung der mille et une nuits, in der Verse von unerhöhrter Süße und Dichte aufgenommen sind), um mir zwei Zeilen zu zeigen, eine Zeile... (diese Rose hat etwas von dieser Art poème, obwohl der Duft des Gedichtes stärker ist, konzentrierter, als ihr kaum merkbarer, fast nur jugendlicher Geruch.) Es war kurz vor der Zeit, da Rodin die Tänzerinnen des Königs von Cambodja kennen lernte (die eben in Marseille sind), denen er dann, sie immerfort zeichnend, nachreiste. In der Ausgabe des "Rodin" sind einige dieser Blätter aufgenommen, - wie überhaupt der Wert dieser Edition vorzüglich darin liegt, daß der Meister mir den Gefallen tat, die Abbildungen selbst auszuwählen..." (Briefwechsel Rilke/Rodin, herausgegeben von R. Luck, Insel, 2001, S. 377f.).

Dieses nur als kleine Ergänzung dazu ...

Viele Grüße von Barbara :lol:
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