Rose

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

Nananoa
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Re: Rose

Beitrag von Nananoa »

..und wenn Erni nach dem 6. Mojito zu dieser Erkenntnis kam schon garnicht!
Nananoa
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Re: Rose

Beitrag von Nananoa »

Zum Grabspruch könnte man noch ergänzen: Was bleibt vom Dichter? Doch eines: seine Lieder. Also, Unter seinen Liedern, in seinen Liedern verbirgt er sich, wird er bleiben wird er s e i n : "Schlaf! Zu sein unter soviel Liedern!"
stilz
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Re: Rose

Beitrag von stilz »

Lieber Anselm,

herzlich willkommen zurück im gerade wieder auferstandenen Forum!

Du kämpfst seit Jahren beharrlich für Deine Deutung - allerhand! Ich finde das wirklich interessant.
Und ich frage mich auch, warum Dir das so wichtig sein mag.

Für mich ist es allerdings nach wie vor nicht möglich, Dir zuzustimmen.
Einmal abgesehen von den Gegenargumenten, die wir hier in diesem thread zusammengetragen haben (und auf die Du leider, soweit ich mich erinnere, nie eingegangen bist): ich sehe nicht, wieso Rilke, der sein ganzes Dichter-Leben lang Wert darauf legte, daß die Feder (wie er einem Arbeiter schrieb, der ihm seine Gedichte geschickt hatte) ein »redliches, genau beherrschtes und verantwortetes Werkzeug« sei --- wieso Rilke gerade dort, wo es um seinen Grabspruch ging, bezüglich der Rechtschreibung eine solche Liederlichkeit an den Tag gelegt haben sollte.
:D

Nix für ungut, und herzliche Grüße!
Ingrid (stilz)
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Nananoa
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Re: Rose

Beitrag von Nananoa »

Eben, und da Rilkes "Feder" in besonderem Maße ein "genau beherrschtes und verantwortetes Werkzeug" darstellt, dürften seine Zeilen keineswegs einer "Liederlichkeit" sondern einer höchst gekonnten und originellen Mystifikation zuzuschreiben sein.
stilz
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Re: Rose

Beitrag von stilz »

Nananoa hat geschrieben: 15. Dez 2020, 10:20 einer höchst gekonnten und originellen Mystifikation zuzuschreiben
Nur kann ich halt Deine Version nicht besonders gekonnt finden.

Und es gäbe auch originellere Möglichkeiten einer "gekonnten" Verballhornung -
wenn schon "Lust, nimm anderes" - warum dann nicht "schlaff" statt "Schlaf", und "Glieder" statt "Lider"?
:D

Aber gleich, was ich (und andere in diesem thread) auch sagen mögen - Du wirst bei Deiner Ansicht bleiben.
Und ich bei der meinen.
Let's agree to disagree.

Noch einen schönen Advent!
stilz
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Thilo
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Re: Rose

Beitrag von Thilo »

Hallo,

es freut mich, zu sehen, dass Ihr das Gespräch an dieser Stelle wieder aufgenommen habt! Vielleicht kann ich mal dazu etwas beitragen aus Charlie Louth's neuem Werk "Rilke: Life of his Work" von 2020. Louth geht darin besonders auf die sprachlichen Bezüge zum Französischen ein und er betont die Verbindungen mit dem Gedicht "Cimetière" (hier: http://www.rilke.de/gedichte/exercises_12.htm), auf die in diesem Thread ja auch schon hingewiesen wurde.
Ich erwähne das, weil Louth hier durchaus auch Anselms "Lieder"-Deutung ins Spiel bringt. Er schreibt auf S. 560:
"Lastly, the word 'Lidern' also hints at 'Liedern' [songs], so allowing a resonance in which (as in 'Früher Apollo') petals are poems, and the sleep/not sleep beneath them is the poet's 'anonyme Mitte' [anonymous centre] as well as the absence that lies within the presence of words."
Das Zitat mit der anonymen Mitte stammt aus einem Brief von 1920, den wir hier finden: http://www.marschler.at/worte-rilke-briefe-rs.htm.

Herzliche Grüße
Thilo
Nananoa
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Re: Rose

Beitrag von Nananoa »

Der Absicht des Grabspruchs kommt man wohl am nächsten in der Lesart:

Rose: "Oh Rainer, wieder Spruch!
Lust nimm anderes!
Schlaf, zu sein unter soviel Liedern!"

Dichter geht's nimmer
helle
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Re: Rose

Beitrag von helle »

»Der Absicht des Grabspruchs kommt man wohl am nächsten in der Lesart« - ein verräterisches »wohl«.

Der Begriff »Lesart« ist mehrdeutig. Die textkritische Bedeutung – eine »überlieferte oder durch Emendation [Korrektur von Fehlern] bzw. Konjektur [begründete Ergänzung fehlender Textpassagen] hergestellte Fassung einer Textstelle« (Metzler Literaturlexikon) bzw. eine Variante zum überlieferten Text – scheidet hier aus. Es gibt nur eine Überlieferung von Rilkes Grabspruch, keine Varianten und also auch nur eine Lesart im textkritischen Sinn, es ist die, die sich auf dem Grabstein befindet, keine davon abweichende, die durch Internet und Leserhirne geistert.

Eine weitere, hier relevante Bedeutung des Begriffs, laut Wikipedia-Artikel »Lesart«: »Für die literaturwissenschaftliche Schule der Rezeptionsästhetik ist die Lesart eine zentrale Kategorie. Ausgangspunkt ist dabei die Vorstellung, dass ein literarischer Text keine in ihm selbst ruhende, feste Bedeutung hat. Dem Text wird erst durch den Leseprozess Bedeutung verliehen. Dabei ist die Interpretation des einzelnen Lesers entscheidend. Der literarische Text wird als ein System von Leerstellen verstanden, das beim Lesen vervollständigt wird.«

Also, etwas verkürzt, ein Text konkretisiert sich erst durch die Auffassung des Lesers. Nicht ist damit allerdings gemeint, daß der Leser einen Text neu konstituiert oder besser konstruiert, der dann vom authentischen abweicht und daß diese Abweichung überdies den Sinn des Originals treffender wiedergibt als der authentische Wortlaut. Eine Interpretation täte gut daran, den originalen Wortlaut ernstzunehmen und an ihm sich abzumühen, was im Fall von Rilkes Grabspruch schwer genug ist. Einen willkürlich empfundenen Wortlaut darüber zu setzen ist im besten Fall Spielerei, im schlechteren Wichtigtuerei. »reiner« ist nun mal nicht »Rainer«, »wider« nicht »wieder« usw. usf.

Mir scheint hier schlicht Troll-Spielerei oder eigenbrödlerischer Starrsinn vorzuliegen und das ganze ebenso sinnvoll und ebenso sinnlos wie diese Entgegnung zu sein: Si tacuisses, philosophus mansisses.
Nananoa
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Re: Rose

Beitrag von Nananoa »

Na schön, da scheint ja viel Einigkeit zu bestehen... und was sagt Wikipedia zum Grabspruch selbst?
Im übrigen, weshalb nicht "wohl..", oder ist Rilke dazu interviewt worden?
stilz
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Re: Rose

Beitrag von stilz »

:-)
Rilke ist insofern "interviewt" worden, als er selber in seinem Testament den Wortlaut des Grabspruchs festgehalten hat:
  • Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
    niemandes Schlaf zu sein unter soviel
    Lidern.
Auch wenn der von Rilke gewünschten Gestalt (ich meine die Zeilenumbrüche) auf dem Grabstein nicht entsprochen wurde - der Wortlaut ist genau so, wie er es in seinem Testament festgelegt hat.

Wenn jemand heute mit diesem Wortlaut nicht zufrieden ist, kann er sich ja für sich selber einen anderen Grabspruch ausdenken.
Aber ich sehe noch immer nicht den geringsten Grund dafür, für eine Interpretation andere Worte zu erfinden als die, die Rilke niedergeschrieben hat.

Freilich, der von Thilo erwähnte Charlie Louth (danke, Thilo!) weist auf eine Resonanz hin zwischen "Lidern" und "Liedern". Auch ich habe diese Resonanz ja schon früher in diesem thread zugegeben - wenn auch ohne an das Gedicht Früher Apollo zu denken.
Das ist ein sehr interessanter Hinweis!

Was die Worte "niemandes Schlaf zu sein" betrifft, so sieht auch Charlie Louth die Verbindung zu dem (ebenfalls hier in diesem thread bereits erwähnten) Gedicht Cimetière:
  • Gibt es einen Nachgeschmack des Lebens in diesen Gräbern? Und finden die Bienen im Blumenmund ein Beinahe-Wort, das schweigt? Oh Blumen, Gefangene unseres Glücksverlangens, kommt ihr zu uns zurück mit unsern Toten in euren Adern? Wie könntet ihr unserer Macht entgehen, Blumen? Wie könntet ihr nicht unsere Blumen sein? Entfernt sich die Rose mit all ihren Blütenblättern von uns? Will sie nur Rose, nichts als Rose sein? Niemandes Schlaf unter so vielen Lidern?
Charlie Louth führt dazu aus:
Charlie Louth hat geschrieben:Clearly this is a direct antecedent, and one might go further and say that the formulation 'Niemandes Schlaf' would never have been written without the odd development of French 'personne' into a negative. Once we realize that 'Niemandes Schlaf' is essentially a French wording, it becomes possible to read it as part of the 'reiner Widerspruch', as meaning Somebody's as well as Nobody's sleep. That 'Niemand' is to be treated differently from the usual 'niemand' is suggested by its capital letter, which the manuscript shows Rilke added to his initial version – it is not to be taken as merely marking the beginning of the line, since Rilke never did this.
Dieser Hinweis ist mir sehr wertvoll - und kann gleichzeitig als ein Beispiel dafür dienen, wie man ohne Veränderung, sondern anhand des Wortlautes zu einer neuen Interpretation kommen kann.

Wie helle sagt:
Ein Text konkretisiert sich erst durch die Auffassung des Lesers. Nicht ist damit allerdings gemeint, daß der Leser einen Text neu konstituiert oder besser konstruiert, der dann vom authentischen abweicht und daß diese Abweichung überdies den Sinn des Originals treffender wiedergibt als der authentische Wortlaut.

Diesbezüglich herrscht tatsächlich viel Einigkeit.
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Nananoa
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Re: Rose

Beitrag von Nananoa »

Die Frage ist doch weniger, wer sich zuerst einen Grabspruch ausdenken sollte, als vielmehr, wieviel Mystifikation man dem Dichter zutraut.
stilz
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Re: Rose

Beitrag von stilz »

:D
Die Frage ist zuallererst, wie man auf die Idee kommt, Rilke könnte einen anderen Wortlaut gemeint haben als den, den er aufgeschrieben hat.
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Re: Rose

Beitrag von Nananoa »

Vielleicht sollte man sich fragen, ob der Moderation überhaupt an einer sachlichen Klärung gelegen ist oder ausschließlich daran, ihre Domäne zu verteidigen und das letzte Wort zu behalten. Läge es nicht näher, einmal zu prüfen, wieweit Rilke schon früher einen Hang zum Rätselhaft-Verschlüsselten hatte? Muß man sich statt dessen anzügliche Wortergänzungen anhören oder die Empfehlung, besser selbst nach einem Grabspruch zu suchen?
stilz
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Re: Rose

Beitrag von stilz »

:D ... und alljährlich grüßt das Murmeltier...

Immerhin: eine Weile hast Du jetzt das letzte Wort gehabt.

Nun aber ist es Zeit für die Frage, ob "Nananoa" überhaupt an einer sachlichen Klärung gelegen ist oder ausschließlich daran, dem von ihm selber präferierten Wortlaut gegenüber dem Wortlaut Rilkes den Vorzug zu geben.
Und auch: wieso er dieses Anliegen nun schon seit Jahren so hartnäckig (und ohne auf Gegenargumente einzugehen) verfolgt.

Herzlichen Gruß ringsum,
stilz
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Nananoa
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Re: Rose

Beitrag von Nananoa »

Der dreifache Ausruf, mit dem Rilke seinen Grabspruch in den Mund der Mutter Gottes legte, wird sich durchsetzen.
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