Hat Rilke die Sozialpartnerschaft vorausgeahnt?

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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Georg Trakl
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Registriert: 30. Jan 2005, 17:30

Hat Rilke die Sozialpartnerschaft vorausgeahnt?

Beitrag von Georg Trakl »

Bei der Durchsicht des Nachlasses von Karl Vollmoeller entdeckte man eine auf billigem Holzpapier verfasste Eloge über handwerklichen Fleiß und daraus resultierend gerechtes Salär, welche sich durch außerordentlich sprachliche Brillanz auszeichnet. Obwohl das Autograph höchstwahrscheinlich aus Rilkens Feder stammt, bleibt die Provenienz wissenschaftlich unbewiesen, ist doch eine schwach erkennbare Unterschrift durch Wasserschaden beinahe unleserlich geworden. Fest steht nur eine Kreierung im Zeitraume von 1906 bis 1910, wobei diese Datierung durch radiometrische Untersuchungen des verwendeten Papiers bzw. der Tinte gesichert scheint. Obwohl Rilke bekanntermaßen kein "Mann der Faust" war, sondern zeitlebens aufgrund schwächlicher Grundkonstitution manueller Tätigkeit eher entsagt hat, erstaunt es umso mehr, daß ein derartiges Werk seiner Feder entflossen sein soll. Jedenfalls: Wegen des auffälligen Bezuges zur aktuellen Situation (kampfeslustige Salär-Verhandlungen vulgo "heißer Herbst") wird überlegt, es der Wirtschaftskammer oder (eventuell als kostengünstigere Kopie) dem Gewerkschaftsbund anzubieten. Die Verhandlungen laufen ...


Euch im schlichten Arbeitskleid,
Euch, der Arbeit wack’ren Söhnen,
Euch ist dieser Tag geweiht,
Ein erhab’nes Werk zu krönen:
Jenes Werk der eig’nen Kraft,
Die aus schweren Sklavenbanden
Männlich sich emporgerafft
Und zu freiem Sein erstanden!

Sei gegrüßt, du treue Schar,
Froh gegrüßt zu dieser Stunde
Schön wie diese keine war
Noch mit euch und eurem Bunde
Denn ihr feiert euren Sieg
Nur nach langem, heißem Streiten,
Nur aus bittrem Kampf entstieg
Euch das Bild aus bessren Zeiten.

Doch es war ein Kampf in Ehr’!
Unbefleckt sind eure Hände
Und vor euren Fahnen her
Schwebt kein Schatten, der euch schände!
Keine blutgetränkte Au
War der Schauplatz eurer Taten;
In der Werkstatt ernstem Bau
Streutet ihr des Friedens Saaten.

Nicht mit Bajonett und Schwert,
Mit dem Hammer und der Feile
Kämpftet ihr für Weib und Herd
Einen Kampf, der Welt zum Heile!
Wo zum Umsturz dieser Welt
Treibt dämonisch wildes Grollen,
Ist, was sie zusammenhält,
Euer Tun und euer Wollen:

Frei zwar von dem alten Fluch
Soll die Arbeit auferstehen
Und durch der Gesetze Buch
Soll der Geist der Gleichheit wehen
Auch der Armut werd’ ihr Recht,
Schutz und Schirm auch den Bedrückten,
Selbst der Ärmste sei kein Knecht
Der Gekrönten, der Beglückten!

Doch ihr fordert nicht allein,
Mehr noch wollt’ ihr selbst erwerben
Leicht soll euer Alter sein,
Sorgenlos ein Braver sterben;
Was versagt euch einzeln ward,
Schätze sind’s, die ihr besitzet,
Die gemeinsam ihr gespart,
Dass gemeinsam ihr euch nützet!

Und die dieses Band umschlingt,
Wer vermag sie noch zu zählen?
Dieser Einheit Geist durchdringt
Tausende von Männerseelen!
Und so steht ihr, eine Macht,
Heute schon, ob auch die Erde
Zehnmal erst den Lauf vollbracht
Seit der Meister mut’gem „Werde!“

Und so mögt ihr ferner steh’n
Treu zu der erhob’nen Fahne
Und so mögt ihr weiter geh’n,
Schützend, pflegend das Humane!
Friedlich-ems’gen Gärtnern gleich,
Möget ihr, den Sinn zum Ganzen,
Im geliebten Österreich
Eure Unternehmer pflanzen.

Schützend Euer gutes Recht,
Im Bewusstsein eurer Pflichten,
Für ein kommendes Geschlecht,
Gilt die Bahnen es zu lichten!
Seht auch voll und ganz nicht ihr
Des Erfolges Frucht ersprießen,
Glücklich werden dann dafür
Eure Kinder sie genießen!

Und so feiert dieses Fest
Hoffnungsfroh und ohne Sorgen;
Aber jener nicht vergesst,
Die der Arbeit neuen Morgen
Uns gebracht vom Donaustrand,
Dass wir andre nicht beneiden:
Jubelnd geht’s durchs ganze Land:
Arbeiter- und Wirtschaftsbund
Ein Hohelied, ein Hoch den Beiden!


***
Anmerkung der Moderatorin:
Wie der geneigte Leser sicherlich bemerkt hat: auch dieser Beitrag unseres Mitglieds Georg Trakl jun. ist cum grano salis zu lesen - hier habe ich eine Sammlung seiner originellen postings angelegt.
(Das vorliegende Poem hätte ich ja eher bei Hartwig Köhler gesucht...)
Herzlichen Gruß in die Runde,
stilz
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