Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

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toratsuki
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Re: Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Beitrag von toratsuki »

also hallo, tut mir ja echt leid wenn euch das "hey" so sehr mitgenommen hat,angegriffen hat oder ähnliches. dann werd ich jetzt wohl immer hallo sagen und nicht hey ;P versprochen! auch für meine rechtschreibfehler entschuldige ich mich! wenn ich einmal schreibe dann schreib ich und schau nicht ständig auf rechtschreibfehler etc.
also zu nitzsche und den nihilismus. der nihilismus wurde von nietzsche eingeführt ... so habe ich es im untericht kennengelernt und so stand es auch in unserem und weiteren deutsch büchern ... also so falsch kann das ganze wohl doch nicht sein... so gibt es z.b. den ethischen N. der besagt es gibt keine brauchbaren normen des sittlichen handelns. der würde ja wohl auch für nietzsche sprechen, der ja körperliche + moral. + sittl. normen ablehnt. den nietzsche is ja schließlich der meinung man sollte sich seinen eigenen verstandes bedienen, und selber erkennen was richtig und falsch ist...
und unter nihilismus versteht man auch : die sinnlosigkeit des lebens, man ist ausgeliefert an ein übermächtiges/anonymes schicksal, gegen das man nichts ausrichten kann. usw.
und wenn ihr euch einmal biografien zu rilke durchgelesen habt[also nicht nur die kuzen dinger im internet], taucht nietzsche doch auch des öfteren auf. es gibt paralelle denkweisen etc. so taucht rilke auch als zeitgenosse, vorbilder und nachfahren nietzsches auf.hinzu kommt das rilke auch dem symbolismus angehört und auch hier taucht wieder der name nietzsche auf ^^
naja wie auch immer war ja jetzt nicht der hauptaspekt meiner interpretation.
also wie ich auf die sache mit den sirenen komme: auguste rodin fertigte eine skulptur der sirenen an... "der neuen gedichte anderer teil" ist ihm gewidmet, wo eben auch das gedicht "lied vom meer" enthalten ist... so wie schon gesagt der titel kommt auch noch hinzu, der passen würde... so und wieder zum symbolismus... er beschäftigt sich auch mit der mystik und ähnliches... er wurde auf capri in ein hotel eingeladen von der dame alice faehndrich ... hinzu kamen 2 weitere frauen... die sirenen waren in sehr alten erzählungen immer zu dritt... naja mag sein das dieser interpretationsversuch sehr weit hergeholt ist ... ist aber auch nur einer von vielen gedanken die ich zu dem gedicht habe ... ^^
desweitereren habe ich auf einer engl. seite etwas gefunden was dazu passen würde .. er soll wohl in einem brief vom 18.02.1907 geschrieben haben wie er sich vorstellt,dass Odysseus einst selbst das Lied der Sirenen hören konnte.
[http://www.villasanmichele.eu/ja/rilke_on_capri]
hat jmd ein buch, wo dieser brief drin sein könnte oder jmd. ahnung wo ich sowas finden könnte.
aus diesem grund liebe ich vorallem die rilke-gedichte. man kann bei seinen gedichten, mag es auch noch so abwägig erscheinen,solch wunderliche gedankenspiele führen.
so ... bevor mein rechner wieder abstürzt schick ich diesen post erstmal ab... die anderen gedanken kommen demnächst ^^

lg die tora
gliwi
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Re: Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Beitrag von gliwi »

hallo tora,
ich sehe mit einigem Misstrauen die Wiederkehr der biografisch-psychologischen Interpretation. Als ich studierte - lange her -, wurde die gerade in die Tonne getreten, wie man heute sagt, und das mit gutem Grund. Da wird drauflosspekuliert, dass sich die Balken biegen. Ich bin und bleibe der Meinung, wir sind nicht die Therapeuten des Dichters. Zuerst wird geschaut, was dasteht. Wenn man dann noch, in einem weiteren Schritt, Kenntnisse über die Biographie, die zum Gedicht passen, mit einbringen kann - in Ordnung. Aber nicht andersrum. Das Rilke "zum Symbolismus gehört", habe ich hier schon mal vernommen. Rilke gehört zu gar nichts, er hat sein eigenens dichterisches Universum aufgebaut, und darin hat er vielerlei verarbeitet, also es mag Gedichte geben, die symbolistisch sind, es gibt auch welche, die impressionistisch sind, aber es gibt auch noch viele, viele andere. Das vorliegende Gedicht empfinde ich nicht als "symbolistisch". Und ich kann es drehen und wenden, wie ich will, ich finde auch keinen Sirenengesang darin. Wärst du, Tora, meine Schülerin, würde ich dir das alles als "spekulativ" rausstreichen. Aber vielleicht bin ich ja auch einfach altmodisch und sollte endlich in den Ruhestand verschwinden. Und was du über Nietzsche sagst, mag ja alles schön und richtig sein, aber was hat das mit diesem Gedicht zu tun?
Gruß
gliwi
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. KANT
stilz
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Re: Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Beitrag von stilz »

Liebe tora,

zunächst nochmal zum "Nihilismus":
toratsuki hat geschrieben: also zu nitzsche und den nihilismus. ... so gibt es z.b. den ethischen N. der besagt es gibt keine brauchbaren normen des sittlichen handelns. der würde ja wohl auch für nietzsche sprechen, der ja körperliche + moral. + sittl. normen ablehnt. den nietzsche is ja schließlich der meinung man sollte sich seinen eigenen verstandes bedienen, und selber erkennen was richtig und falsch ist...
und unter nihilismus versteht man auch : die sinnlosigkeit des lebens, man ist ausgeliefert an ein übermächtiges/anonymes schicksal, gegen das man nichts ausrichten kann. usw.
Du sprichst hier von zwei sehr verschiedenen, meiner Meinung nach sogar wirklich gegensätzlichen Dingen.
Das eine: sich in der Erkenntnis von "richtig" oder "falsch" seines eigenen Verstandes zu bedienen, statt sich auf in der Gesellschaft etablierte Normen zu verlassen. - Eine solche Einstellung könnte man meiner Meinung nach mit Rilke in Zusammenhang bringen.
Das andere allerdings: das übermächtige Schicksal, die Sinnlosigkeit jedes Versuches, selber daran mit-zu-wirken (welchen Sinn hätte dann der Versuch eines Erkennens von "richtig" und "falsch"?), und daher die Sinnlosigkeit des Lebens... - das finde ich bei Rilke überhaupt nicht.

Und zu den Sirenen: dazu hat helle hier ja schon einiges gesagt. Ich möchte mich dem anschließen, auch ich finde den Gedanken originell, wenn auch nicht zwingend.
Der Blick auf das Mittelmeer, dasselbe Meer, das in der griechischen Sage Schauplatz der Odyssee ist, mag den Gedanken an Odysseus nahelegen. Und die Vorstellung, sich von taub gemachten Matrosen fesseln zu lassen, um die verführerischen Gesänge, denen kein Mensch widerstehen kann, dennoch gefahrlos anhören zu können, hat natürlich einen großen Reiz.

Der Besuch der englischen Seite, die Du angibst (danke!), hat mich jedoch noch auf etwas anderes aufmerksam gemacht, das ich hier erwähnen will:

Das Ende des "Liedes vom Meer" wird dort so übersetzt:
  • Oh, how a fruit-rundesache
    fig tree feels your coming
    high up in the moonlight.
Der "treibende" Feigenbaum wird also hier zum "fruchttragenden", was ja nicht dasselbe ist (wenn auch, soviel ich weiß, gerade Feigenbäume gleichzeitig blühen und fruchten, und wohl auch treiben...)
Aber hier zeigt sich sehr deutlich, was ich an den Gedichten Rilkes so sehr schätze:
Das Wort "treibend" erweckt, in Zusammenhang mit Meer und Wind, in mir einerseits das Bild eines entwurzelten Baumes, der im Wasser treibt.
Andererseits aber entsteht in mir das Bild eines Baumes, der austreibt - und diese Gleichzeitigkeit der beiden Bilder, hier das passive Treiben, dort das aktive Austreiben, regt weitere Gedanken in mir an:
Könnte dieses Austreiben vielleicht als Reaktion des Feigenbaumes auf den uralten Wind vom Meer verstanden werden: ist es derselbe Wind, den "einer, der wacht", zu "überstehen" hat, der den ("schlafenden"?) Feigenbaum zum Austreiben veranlaßt? ... Und damit wären wir wieder beim "Frühlingswind"...

Und auch nochmal bei meiner Überzeugung, daß es in diesem Gedicht nicht um die "fatalistische" Spielart des "Nihilismus" geht, also nicht darum, daß wir Menschen wehrlos einem unabänderlichen Schicksal ausgeliefert sind, an dem wir nicht selber mitgestalten können. Das mag für die Feigenbäume gelten, und auch für die Tiere - ich denke an die vierte Duineser Elegie: "Wir sind nicht einig. Sind nicht wie die Zug-/vögel verständigt.":
Das Schicksal "übersteigt" uns wohl, eben weil wir nicht oder nur sehr unzulänglich "verständigt" sind - aber der Mensch ist gerade durch dieses "nicht verständigt-Sein" aufgerufen, selbst zu entscheiden, wann er "austreibt", oder auch sich zu überlegen, wie er sogar der "unwiderstehlichen" Verlockung von Sirenengesängen doch widerstehen kann...

Viel Erfolg!

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
stilz
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Re: Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Beitrag von stilz »

P.S.:
Noch zu Deiner Idee, die drei gastfreundlichen Damen mit den Sirenen zu vergleichen:
Auch da schließe ich mich helle an --- ich würde, wenn Du unbedingt diese biographische Situation in Deinem Aufsatz verwenden willst, sie eher mit "denen, die ihm gastlich waren" am Beginn des Gedichtes Die Insel der Sirenen in Zusammenhang bringen...
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toratsuki
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Re: Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Beitrag von toratsuki »

hallo
ganz ehrlich.. ich findes es ebenfalls schwachsinn nietzsche, nihilismus in gedichte etc. hinein zu interpretieren,doch leider wird es von uns verlangt... genauso wie es verlangt wird die formale betrachtung und ähnliches mit dem inhalt in verbindung zu setzen... ich denke wenn die dichter in ihrem "dichterfluss" sind, denken sie nicht großartig darüber nach ob sie nun ein umarmenden oder kreuzreim nehmen oder ob sie eine alliteration etc. einbauen. Ich denke das einzige was beachten is ob es nach ihrem gewissen gut "klingt" und alles zusammenpasst und ihren gedanken gemäß wiedergibt... Aber wie gesagt, sollen wir genau das tun, obwohl es mir wie gesagt widerstrebt zu denken alles aber wirklich jedes kleinste detail ist so gewollt und geplant von dem dichter...

weil mich das sirenen-thema sehr interessiert habe ich es ausgebaut und möchte es euch präsentieren, hoffe natürlich ich nerve euch nicht damit ^^ hier die ergänzungen zu dem bereits vorher genannten:

-Feigenbaum: ein symbol für Fruchtbarkeit,sexualität --> es könnte möglicher wiese auf die verführung der sirenen hindeuten; zu dem bildet er 3 feigenarten aus, was auf die magische zahl 3 der sirenen und somit auf diese selbst hindeutet
-Mond: im Buddhismus stellt er das weibliche Prinzip dar und symbolisiert im allg. Kontaktwunsch und Bedürfnis nach Zärtlichkeit,symbolisiert Opferbereitschaft und Zuneigung --> all das könnte auf den Wunsch der Begegnung mit den Sirenen hindeuten bzw allgg. auf die sirenen. ich weiß es ist alles extrem spekulativ aber trotzdem macht es spaß sowas zu interpretiern oder zu versuchen mit dem text zu assozieren. Es macht eben [bzw. mir selbst] spaß auf grund seiner gedichte mit selbst so verückte gedanken zu bilden, obwohl ich nie sagen würde genau DAS hat der dichter des gedichtes gedacht!!)
-auch die Kadenzen sind in dem Zusammenhang sehr interessant: am anfang nur männliche, dann kommen vereinzelt weibliche hinzu und zum ende hin werden es immer mehr bis 2 weibliche kadenzen das gedicht abschließen. der leser bzw. das lyr. ich kommt immer mehr in verbindung mit dem weiblichen und wird sozusagen immer mehr zu den weiblichen sirenen hingezogen / verführt... hoffe ihgr versteht was ich damit ausdrücken wollte, klingt evtl. ein bissl verworren ^^
- reimschema:anfang 2 kreuzreime, welche verdeutlichen könnten das Mann und frau also sirene und mann aufeinandertreffen, kreuzreime wirken oft liedhaft , was aussagen könnte das die männer aufgrund der lieder der sirenen magisch angezogen werden und so auf die sirenen treffen. am ende könnte uns ein "dreifacher" umarmender reim [hat sowas einen namen abccba?] zeigen wie nun sirenen und mann zusammengeführt wurden. der dreifache umarmende reim ist vlt wieder ein hinweis auf die magische zahl 3 --> die anzahl der sirenen.
- das "uralte wehn" stellt wie schon gesagt den uralten betörenden verführenden sirenengesang dar, der schon lange zeiten über das meer, die luft zu hören ist.
- "du kommst zu keinem her" könnte darstellen, das die sirenen und ihr gesang nicht zu den männern kommen können, da sie auf einer klippe /insel bzw einem felsen festsaßen und von dort aus nur vorbeifahrende schifffahrer betören konnten
- so muss er sehn ,wie er dich übersteht wird in der engl. version direkt als "he" dargestelltuns zeigt somit, in bezug auf den sirenengesang, den man der den betörenden gesang wiederstehen, ihn überstehn muss.
- "reißend von weit herein" deute ich hier als mitreißend, verführend
- man könnte weiter hinweise auf sirenen finden:
+ ich habe in einem buch über rilke gefunden, das urgestein ein typ. capreser motiv ist
und für Kalk steht--> dieser ist weiß und deutet auf die sirene Leukosia, die Weiße hin.
+ mit "lauter raum" hingegen könnte ein Hinweis auf die Sirene Ligeia, die Laute hindeuten
+ und nun kommen wir zu dritten sirene. es wird einmal von "meerwind" gesprochen, was
gegenüber dem uralten wehn eher sanft und harmlos wirkt und somit auf die Sirene
parthenope, die mädchenstimme oder beispielsweise die sirene himeropa, die sanfte
stimme, hindeuten könnte


so das erstmal zum sirenenaspekt ^^

ich sehe in dem gedicht aber auch das in gewisser weise jung und alt gegenüberstehen...
in der ersten strophe das Urgestein, was für das alte wehn wie gemacht ist und das uralte wehn vom meer und in der letzten strophe der treibende[in bezug auf keimlinge etc.], junge feigenbaum. das wort treibende finde ich sehr interessant, denn es kann die gerade genannte variante darstellen, die von einem treibenden baum im wasser oder durch die lüfte die vom starken wind übrig bleiben oben treibenden sich sacht bewegenden äste.

was meint ihr warum er so sehnsüchtig sagt, als würde er es selbst gern erleben "Oh wie fühlt dich ein treibender feigenbaum im mondenschein" .
könnte man hier nicht evtl. eine tangente zum frühlingswind ziehen, wo er gern den wind des schicksals erleben möchte und auf ihn wartet?

vlt könnte man den uralten wind in verbindung mit dem tod bringen, während er nur wie für alte menschen gemacht ist[klingt jetzt evtl etwas komisch] , für das Urgestein, und wo man aufpassen muss das man ihn übersteht wenn man schläft, wird er hingegegen zwar von dem junden feigenbaum berührt und getrieben , aber nicht in erschütterung gesetz.


so das waren ersteinmal meine gedanken dazu. würde mich natürlich sehr über eure gedanken freuen, wie ihr das gedicht seht und versteht.

liebe grüße tora^^
stilz
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Re: Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Beitrag von stilz »

Liebe Tora,

wie schön, daß Du Dich nochmal meldest!

Es sind sicher viele originelle Gedanken, die Du Dir da gemacht hast, und wie Du ja selbst sagst, ist wohl auch einiges "Spekulative" dabei :wink: ...

Ich möchte nicht auf alle Details eingehen, meine "Spekulationen" würden sich in eine andere Richtung bewegen.
Aber ich rate Dir, einmal diesen thread durchzulesen. Da gibt's zum Thema "Spekulation" ein interessantes Zitat aus einem Rilke-Brief, und am Schluß auch noch eine Stellungnahme von gliwi (danke! :D )...
toratsuki hat geschrieben: was meint ihr warum er so sehnsüchtig sagt, als würde er es selbst gern erleben "Oh wie fühlt dich ein treibender feigenbaum im mondenschein" .
könnte man hier nicht evtl. eine tangente zum frühlingswind ziehen, wo er gern den wind des schicksals erleben möchte und auf ihn wartet?
Darauf habe ich hier eigentlich schon geantwortet, meinst Du nicht? Der Feigenbaum, der von der Natur "verständigt" ist und sich nicht selber den Kopf zerbrechen muß, wann der richtige Zeitpunkt zum Austreiben gekommen ist, und deshalb auch gefeit ist vor falschen Entscheidungen - wie wär das doch bequem, wenn auch wir so klar sehen könnten, was "das Schicksal" (oder eben das "uralte Wehn vom Meer" ) von uns fordert... das jedenfalls wäre meine "Tangente" zum Frühlingswind...
toratsuki hat geschrieben: - "reißend von weit herein" deute ich hier als mitreißend, verführend
...
+ mit "lauter raum" hingegen könnte ein Hinweis auf die Sirene Ligeia, die Laute hindeuten

Also, "lauter Raum" habe ich bisher weder im Sinne von "laut = lärmend" noch auch im Sinne von "mit Lautenklängen erfüllt" verstanden, sondern eher im Sinne von "ich kann vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen" oder vielleicht auch "lauter = rein"... aber leider können wir Rilke da wohl nicht mehr fragen...

Bei "reißend von weit herein" frage ich ihn allerdings doch: ich denke an dieses Gedicht (Paris, Winter 1913/14) [hier und im folgenden Gedicht: Hervorhebungen von mir]:
  • O Leben Leben, wunderliche Zeit
    von Widerspruch zu Widerspruche reichend
    im Gange oft so schlecht so schwer so schleichend
    und dann auf einmal, mit unsäglich weit
    entspannten Flügeln, einem Engel gleichend:
    O unerklärlichste, o Lebenszeit.

    Von allen großgewagten Existenzen
    kann einer glühender und kühner sein?
    Wir stehn und stemmen uns an unsre Grenzen
    und reißen ein Unkenntliches herein,
    ...................
, das, wie der Beistrich und die Punktierung zeigen, mitten im Satz abreißt, und das (für mich) eine Art "Fortsetzung" zu finden scheint in Rilkes allerletzter Niederschrift 1923:

  • Komm du, du letzter, den ich anerkenne,
    heilloser Schmerz im leiblichen Geweb:
    wie ich im Geiste brannte, sieh, ich brenne
    in dir; das Holz hat lange widerstrebt,
    der Flamme, die du loderst, zuzustimmen,
    nun aber nähr' ich dich und brenn in dir.
    Mein hiesig Mildsein wird in deinem Grimmen
    ein Grimm der Hölle nicht von hier.
    Ganz rein, ganz planlos frei von Zukunft stieg
    ich auf des Leidens wirren Scheiterhaufen,
    so sicher nirgend Künftiges zu kaufen
    um dieses Herz, darin der Vorrat schwieg.
    Bin ich es noch, der da unkenntlich brennt?
    Erinnerungen reiß ich nicht herein.
    O Leben, Leben: Draußensein.
    Und ich in Lohe. Niemand der mich kennt.

    [Verzicht. Das ist nicht so wie Krankheit war
    einst in der Kindheit. Aufschub. Vorwand um
    größer zu werden. Alles rief und raunte.
    Misch nicht in dieses was dich früh erstaunte]
---

Und nun noch zu:
toratsuki hat geschrieben: ... ich denke wenn die dichter in ihrem "dichterfluss" sind, denken sie nicht großartig darüber nach ob sie nun ein umarmenden oder kreuzreim nehmen oder ob sie eine alliteration etc. einbauen. Ich denke das einzige was beachten is ob es nach ihrem gewissen gut "klingt" und alles zusammenpasst und ihren gedanken gemäß wiedergibt...
:D Da gebe ich Dir sehr recht!!! - Einerseits.
Andererseits wäre gerade bei Rilke noch zu beachten, daß er selbst sich nicht als denjenigen sieht, der sich "Gedanken macht", sondern daß er das, was Du als seinen "Dichterfluß" bezeichnest, wie eine Art "Diktat" empfand:

"…Und bin ich es, der den Elegien die richtige Erklärung geben darf? Sie reichen unendlich über mich hinaus." schreibt er beispielsweise an Witold Hulewicz, den Übersetzer der "Elegien" ins Polnische, der ihn um Hilfe bei der Interpretation gebeten hatte...
Und in dem Brief an die Gräfin Margot Sizzo-Noris-Crouy, den ich im oben verlinkten thread ausführlicher zitiere, heißt es:
"Es handelt sich ja wirklich oft um das Schwierigste, in einem "Grenzstreif" des eben noch Sagbaren Belegene [sic], manchmal ringe ich selbst um den Sinn, der sich meiner bedient hat, um sich menschlich durchzusetzen, und das Licht einzelner Stellen besitze auch ich nur in einzelnen begnadeten Augenblicken."

Da scheint es mir schon legitim, zu erforschen, ob es der "Sinn, der sich meiner bedient hat" ist, der an einer bestimmten Stelle einen Kreuzreim, an einer anderen eine andere Form gewählt hat (und also: welcher Sinn sich dahinter verbirgt) - oder ob (wie das sicherlich auch manchmal vorkommt, sogar bei Rilke :wink: ) etwas ganz allein dem Reim geschuldet ist und nicht dem Sinn...

Soweit für heut von mir.

Lieben Gruß!

stilz

P.S.: Und sei vorsichtig mit den "männlichen" und "weiblichen" Kadenzen - das scheint nicht mehr ganz der political correctness zu entsprechen... :wink:
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toratsuki
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Re: Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Beitrag von toratsuki »

hallo brauch heute dringend nochmal eure hilfe
hoffe jmd. antwortet heute noch =)

wie würdet ihr in de4m gedicht das metrum bestimmen?
am anfang dacht ich wenn ich jeweils 2 zeilen zusammen nehm ist es ein fünfhebiger aber sobald die letzte strophe beginnt haut das ganze nicht mehr hin... vlt könnt ihr mir da helfen?
achso darf man einfach 2 zeilen zusammen nehmen und deren metrum zu einem zusammen fassen?

VIELEN DANK! lg
gliwi
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Re: Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Beitrag von gliwi »

Ein Frühlingswind

Mit diesem Wind kommt Schicksal; laß, o laß
es kommen, all das Drängende und Blinde,
vor dem wir glühen werden -: alles das.
(Sei still und rühr dich nicht, daß es uns finde.)
O unser Schicksal kommt mit diesem Winde.

Von irgendwo bringt dieser neue Wind,
schwankend vom Tragen namenloser Dinge,
über das Meer her was wir sind.

.... Wären wirs doch. So wären wir zuhaus.
(Die Himmel stiegen in uns auf und nieder.)
Aber mit diesem Wind geht immer wieder
das Schicksal riesig über uns hinaus

Nein. Was soll das denn bringen? Ich verstehe es nicht. Das Metrum bestimmst du Vers für Vers.
Ja, es sind 5 Hebungen. 1-4 Jamben, 5 ein Trochäus, dann Daktylen.
6 Jamben, 7 wie 5, 8 ebenso, hat aber nur vier Hebungen.(als einziger)
9 wie 5, fünf Hebungen. 10 Jamben, 11 wie 5, 12 Jamben. wo ist das Problem?
Gruß
gliwi
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toratsuki
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Re: Interpretation von "Ein Frühlingswind"

Beitrag von toratsuki »

entschuldige liebe gliwi .. ich meine natürlich nicht das Gedicht vom Frühlingswind sondern das Lied vom Meer ^^ das hätte ich vlt. dazusagen müssen

den bei dem lied vom meer finde ich es echt schwer das metrum zu bestimmen!

frühlingswind würde ich auch noch hinbekommen ;)

TROTZDEM DANKE! auch wenn du das jetzt erst morgen liest ^^
stilz
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Re: "Lied vom Meer"

Beitrag von stilz »

:D
Liebe Tora, das hab ich mir hier in diesem thread schon einmal gedacht: was für ein irreführender "Betreff" - ich hab ihn jetzt mal geändert; kein Wunder, daß er gliwi auf eine "falsche" Spur gebracht hat...
Ich kopiere das "richtige" nochmal hier herein:
  • Lied vom Meer

    Capri. Piccola Marina

    Uraltes Wehn vom Meer,
    Meerwind bei Nacht:
    du kommst zu keinem her;
    wenn einer wacht,
    so muß er sehn, wie er
    dich übersteht:
    uraltes Wehn vom Meer
    welches weht
    nur wie für Ur-Gestein,
    lauter Raum
    reißend von weit herein...

    O wie fühlt dich ein
    treibender Feigenbaum
    oben im Mondschein.
Ich lese es so (und vertraue darauf, daß Du das auch hinbekommen hättest :wink: ):

=xx=x=
=xx=
=xx=x=
=xx=

=xx=x=
=xx=
=xx=x=
=x=
=xx=x=
=x=
=xx=x=

=x=x=
=xx=xx
=xx=x

Bei den letzten beiden Zeilen schwanke ich ein klein wenig, vorstellbar wäre für mich auch:
=xx=x=
=xx== (mit Spondeus am Schluß)

Ich würde wirklich nicht jeweils zwei Zeilen zusammenziehen, nur damit etwas "Fünfhebiges" herauskommt. Wenn Rilke fünfhebige Zeilen hätte schreiben wollen, dann hätte er das getan - wie man unter anderem am "Frühlingswind" sieht, war er dazu sehr gut imstande. :wink:
Wie schon oft bemerkt wurde, kann es doch nicht darum gehen, Rilke in eine "Schublade" einzuordnen; das gilt auch für seine Gedichte. Manche haben eben ein ganz eigenes Versmaß, auf das kein Etikett der Literaturwissenschaftler paßt... ob es für dieses Versmaß hier dennoch ein solches Etikett gibt, weiß ich nicht.
Wie gliwi immer wieder so richtig sagt: Erst mal schauen, was dasteht. Und nicht um jeden Preis etwas anderes draus machen wollen, was nicht dasteht.

In einem Deiner früheren Beiträge sprachst Du von "männlichen" und "weiblichen" Kadenzen und hast versucht, eine Begründung dafür zu finden, warum sie genau so dastehen, wie sie dastehen... und selbst wenn ich, wie ich ja schon mal gesagt habe, in der "Sirenenfrage" nicht Deiner Meinung bin: es ist ein sehr guter Ansatz, sich solche "Begründungs-Gedanken" zu machen: gibt es eine Regelmäßigkeit, wird sie unterbrochen, an welcher (inhaltlichen) Stelle, oder verwandelt sie sich...
Statt "männlich" und "weiblich" würde ich aber wirklich zu anderen Ausdrücken raten, da kann man sich (besonders wenn der Lehrer/die Lehrerin jemand ist, dem/r Emanzipation ein großes Anliegen ist :wink: ) in die Nesseln setzen... wie wär's mit "betonte" und "unbetonte Endung"? Ach so, dann fällt Deine "Sirenen-Begründung" in sich zusammen... na, dann müßtest Du halt versuchen zu schildern, wieso Dir eine betonte Endung eher dem Odysseus und eine unbetonte Endung eher den Sirenen zu entsprechen scheint... auch wenn ich diese Auffassung nicht teile: wenn Du sie ausreichend begründen kannst, wird sie wohl bestehen können...

Viel Erfolg!

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
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