Neue Gedichte II: Die Parke

Von den frühen Prager Gedichten über Cornet, Neue Gedichte, Sonette und Elegien bis zum lyrischen Grabspruch

Moderatoren: Thilo, stilz

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arme
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Neue Gedichte II: Die Parke

Beitrag von arme »

Liebe Forum-Mitglieder, diesmal geht es bei mir um das Gedicht Die Parke/Neue Gedichte II. Es ist ziemlich lang, ihr findet es hier.
https://www.textlog.de/rilke/gedichte/die-parke

Hier ein Teil davon:
Leise von den Alleen
ergriffen, rechts und links,
folgend dem Weitergehen
irgendeines Winks,

trittst du mit einem Male
in das Beisammensein
einer schattigen Wasserschale
mit vier Bänken aus Stein;

in eine abgetrennte
Zeit, die allein vergeht.
Auf feuchte Postamente,
auf denen nichts mehr steht,

hebst du einen tiefen
erwartenden Atemzug;
während das silberne Triefen
von dem dunkeln Bug

dich schon zu den Seinen
zählt und weiterspricht.
Und du fühlst dich unter Steinen,
die hören, und rührst dich nicht.

Es ist das Wort „Bug“, wofür ich keine passende Bedeutung finden kann. In ein paar Übersetzungen sehe ich, das es sich auf die früher erwähnte Wasserschale bezieht. Und das wäre ja logisch. Aber wie soll man das Wort „Bug“ verstehen? Und eigentlich weiss ich nicht, ob es auf der Zeile „von dem dunkeln Bug“ oder „vor dem dunkeln Bug“ sein soll. Beides finde ich. Wäre dankbar für Gedanken. arme
stilz
Beiträge: 1226
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Re: Neue Gedichte II: Die Parke

Beitrag von stilz »

Liebe arme,

auch ich beziehe das "silberne Triefen von dem dunkeln Bug" auf die "schattige Wasserschale".
"Bug" verstehe ich als "Gebogenes", also Rundung oder Wölbung.
Die Schale ist "schattig", also dunkel - und ich stelle sie mir rund vor, nicht unbedingt kreisrund, aber jedenfalls gerundet (wenn ich im Internet in der Bildersuche "Wasserschale" eingebe, so überwiegt die Anzahl der runden Schalen bei weitem...).

Zu Deiner Frage:
arme hat geschrieben:Und eigentlich weiss ich nicht, ob es auf der Zeile „von dem dunkeln Bug“ oder „vor dem dunkeln Bug“ sein soll.
In meinem Insel-Band "Rilke. Die Gedichte" heißt es "von dem dunkeln Bug".

Danke fürs Aufmerksammachen auf diesen Gedichtzyklus! Ich kannte diese Gedichte bisher noch nicht.

Ich denke dabei auch an das Gedicht "In einem fremden Park", von dem hier im Forum vor kurzem die Rede war.

Ganz herzliche Grüße!

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
arme
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Re: Neue Gedichte II: Die Parke

Beitrag von arme »

Danke, stilz, für deine verdeutlichende Antwort. Sie gibt mir Sicherheit. Und ich glaube auch, daβ es "von" sein muβ. Ich habe jetzt das ganze Neue Gedichte II richtig sorgfeltig durchgelesen und finde dort phantastische Gedichte. Die Parke ist eines davon. Wie vieles man in einem Park erleben kan! In der Schöpfung, die die Menschen aus der Schöpfung leisten. Ich habe noch einige Fragen von der Neuen Gedichten. Vielleicht später? Herzlichen Gruβ, arme
arme
Beiträge: 67
Registriert: 8. Nov 2016, 15:06

Re: Neue Gedichte II: Die Parke

Beitrag von arme »

Doch noch ein paar Fragen: ”dunkel” kann vielleicht beides bedeuten: daβ die Schale in einem Schatten steht oder daβ die Zeit die Schale schattiert, dunkler gemacht hat. Und ”zu seinen”: zu seinen eigenen, daβ der Betrachter wie eine der steinernen Figuren wäre. arme
helle
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Re: Neue Gedichte II: Die Parke

Beitrag von helle »

Wenn ich die Frage erneut grammatisch zu beantworten versuche: das großgeschriebene (!) »Seinen« – so wie man familiär von den Seinen spricht – bezieht sich syntaktisch am ehesten auf das »Triefen« (auch ein Bezug auf den »Bug« wäre denkbar, vielleicht auch allgemein auf das Wasser) und das ist schon merkwürdig. Würde ein Schüler den Satz »Das Triefen zählt dich zu den Seinen« schreiben, würde er Kopfschütteln ernten oder schlechte Zensuren oder beides.

Aber es ist auch nicht die nüchterne Welt der Unterrichtsinhalte, von der hier die Rede ist. In seinen Versen bewegt Rilke sich einmal mehr fern von geläufigen Vorstellungen. Das Ich des Gedichts erfährt eine Verwandlung, es verfällt sukzessiv der Welt des Parks mit seinen Bestandteilen des Wassers, der Wasserschale, den Steinen, Bänken usw. Und während es selbst eine Neigung zur Versteinerung zeigt und sich nicht mehr rühren mag, erscheint die gegenständliche Welt des Parks animistisch belebt, die Steine »hören«, das triefende Wasser »spricht« und im Sprechen zählt es den Besucher zu den »Seinen«. Das Verwandlungsgeschehen hat eine zweifache, gegenläufige Form, als Verlebendigung der Dinge und als Konvergenz des Sprechers zur gegenständlichen Welt.

Gruß, helle
arme
Beiträge: 67
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Re: Neue Gedichte II: Die Parke

Beitrag von arme »

Danke, Helle, deine Antwort spürt fein die Atmosphäre des Parks.
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