Zarte Verliebtheit

Rilke-Texte gesucht und gefunden

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Maike-Mabice
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Zarte Verliebtheit

Beitrag von Maike-Mabice »

Guten Tag, ich bin sicher, dass Rilke wunderbare Worte verfasst hat über das erste zarte Verliebtsein, noch unausgesprochen, aber sich in Blicken zeigend. Das langsame Entwickeln, scheu und zaghaft, den Zauber des Hoffens, die Sehnsucht nach mehr, und trotzdem den Wunsch, dass diese ersten jungen Gefühle noch andauern, obwohl im Innern längst die Leidenschaft lodert und kaum zu halten ist. Als sei mit dem ersten Kuss etwas zuende gegangen, obwohl ja etwas wunderbares sich darin manifestiert und erst beginnt.

Bitte sagt mir, in welchen Gedicht/Text ich so etwas finden kann.
Vielen Dank, Maike
helle
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Re: Zarte Verliebtheit

Beitrag von helle »

Bedeutet »ich bin sicher«, daß Du eine entsprechende Passage bei Rilke gelesen und nur vergessen hast, wo, oder bedeutet es, was Du schilderst, ist ein so allgemeines Phänomen, daß Rilke doch wohl auch dazu etwas geschrieben haben sollte?

Das soll nicht polemisch klingen, die Frage scheint mir vielmehr berechtigt; im Volksmund gibt es die Wendung »Vorfreude ist die schönste Freude«, das ist gewissermaßen die Fassung der Alltagerfahrung. Etwas spezifischer könnte man sagen, daß man durchaus nicht immer einlösen will, was man gedanklich oder seelisch antizipiert, weil der Reiz des Antizipieren, Erwartens und Vorstellens größer ist als dessen mögliche Realisierung, oder anders gewendet, daß in jedem Verwirklichen auch ein Verwirken steckt.

Gruß, h.
helle
Beiträge: 342
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Re: Zarte Verliebtheit

Beitrag von helle »

Vergessen habe ich natürlich die einzige Stelle, die mir in den Sinn kam, Zweite Duineser Elegie, sehr assoziativ allerdings, darum die obige Frage.


Liebende, euch, ihr in einander Genügten,
frag ich nach uns. Ihr greift euch. Habt ihr Beweise?
Seht, mir geschiehts, daß meine Hände einander
inne werden oder daß mein gebrauchtes
Gesicht in ihnen sich schont. Das giebt mir ein wenig
Empfindung. Doch wer wagte darum schon zu sein?
Ihr aber, die ihr im Entzücken des anderen
zunehmt, bis er euch überwältigt
anfleht: nicht mehr –; die ihr unter den Händen
euch reichlicher werdet wie Traubenjahre;
die ihr manchmal vergeht, nur weil der andre
ganz überhand nimmt: euch frag ich nach uns. Ich weiß,
ihr berührt euch so selig, weil die Liebkosung verhält,
weil die Stelle nicht schwindet, die ihr, Zärtliche,
zudeckt; weil ihr darunter das reine
Dauern verspürt. So versprecht ihr euch Ewigkeit fast
von der Umarmung. Und doch, wenn ihr der ersten
Blicke Schrecken besteht und die Sehnsucht am Fenster,
und den ersten gemeinsamen Gang, ein Mal durch den Garten:
Liebende, seid ihrs dann noch? Wenn ihr einer dem andern
euch an den Mund hebt und ansetzt –: Getränk an Getränk:
o wie entgeht dann der Trinkende seltsam der Handlung.
stilz
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Re: Zarte Verliebtheit

Beitrag von stilz »

Willkommen im Forum, Maike!

Und danke, helle, für Deine Antworten - in Deinem ersten posting gibst Du mir das Stichwort:
helle hat geschrieben: 29. Jun 2018, 09:19 daß in jedem Verwirklichen auch ein Verwirken steckt.
Sehr schön ausgedrückt!
Ich denke dabei an Rilkes Lied, aus seinem Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, Kapitel 69 (http://www.rilke.de/roman/roman_69.htm).
Ich zitiere das jetzt mal im Roman-Zusammenhang:
Rilke als Malte Laurids Brigge hat geschrieben:Aber da wurde es mit einemmal still. Eine Stille ergab sich, die eben noch niemand für möglich gehalten hätte; sie dauerte an, sie spannte sich, und jetzt erhob sich in ihr die Stimme. (Abelone, dachte ich. Abelone.) Diesmal war sie stark, voll und doch nicht schwer; aus einem Stück, ohne Bruch, ohne Naht. Es war ein unbekanntes deutsches Lied. Sie sang es merkwürdig einfach, wie etwas Notwendiges. Sie sang:

»Du, der ichs nicht sage, daß ich bei Nacht
weinend liege,
deren Wesen mich müde macht
wie eine Wiege.
Du, die mir nicht sagt, wenn sie wacht
meinetwillen:
wie, wenn wir diese Pracht
ohne zu stillen
in uns ertrügen?


(kurze Pause und zögernd):

Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.«


Wieder die Stille. Gott weiß, wer sie machte. Dann rührten sich die Leute, stießen aneinander, entschuldigten sich, hüstelten. Schon wollten sie in ein allgemeines verwischendes Geräusch übergehen, da brach plötzlich die Stimme aus, entschlossen, breit und gedrängt:

»Du machst mich allein. Dich einzig kann ich vertauschen.
Eine Weile bist dus, dann wieder ist es das Rauschen,
oder es ist ein Duft ohne Rest.
Ach, in den Armen hab ich sie alle verloren,
du nur, du wirst immer wieder geboren:
weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.«


Niemand hatte es erwartet. Alle standen gleichsam geduckt unter dieser Stimme. Und zum Schluß war eine solche Sicherheit in ihr, als ob sie seit Jahren gewußt hätte, daß sie in diesem Augenblick würde einzusetzen haben.
Herzlichen Gruß,
stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Maike-Mabice
Beiträge: 4
Registriert: 23. Jul 2016, 14:07

Re: Zarte Verliebtheit

Beitrag von Maike-Mabice »

Dank an Helle und Stilz, vor lauter Verliebtheit versäumte ich, angemessen zügig zu antworten, entschuldigt!

Es war kein vergessener Text, sondern tatsächlich die Vermutung/Gewissheit, dass Rilke diesen Zustand beschrieben haben musste. Jetzt habe ich etwas Schönes das ich verfolgen, lesen und auf mich wirken lassen kann!
Herzliche Grüße, Maike
helle
Beiträge: 342
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Wohnort: Norddeutsche Tiefebene

Re: Zarte Verliebtheit

Beitrag von helle »

Bei Goethe heißt es »Bilde Künstler! Rede nicht!«,

in diesem Sinn
viel Glück
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