Kleine Schwieriegkeiten mit der Ubersetzung von Liebesanfang

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madamebutterfly
Beiträge: 4
Registriert: 8. Nov 2009, 09:51

Kleine Schwieriegkeiten mit der Ubersetzung von Liebesanfang

Beitrag von madamebutterfly »

Hallo liebe Mittglieder,

Frohes Neu Jahr !
Ich habe mal wieder Ubersetzung's Schwierigkeiten ( Ich bin französin, das könnte nützlich sein zu wissen ! ) Ich habe mich an "Liebesanfang" gesattelt.
Ich habe Mühe mit "Wie war das Eines" nicht, und "war Ihm eingegeben"

Liebesanfang

O Lächeln, erstes Lächeln, unser Lächeln.
Wie war das Eines: Duft der Linden atmen,
Parkstille hören - , plötzlich in einander
aufschaun und staunen bis heran ans Lächeln.

In diesem Lächeln war Erinnerung
an einen Hasen, der da eben drüben
im Rasen spielte; dieses war die Kindheit
des Lächelns. Ernster schon war ihm des Schwanes
Bewegung eingegeben, den wir später
den Weiher teilen sahen in zwei Hälften
lautlosen Abends. - Und der Wipfel Ränder
gegen den reinen, freien, ganz schon künftig
nächtigen Himmel hatten diesem Lächeln
Ränder gezogen gegen die entzückte
Zukunft im Antlitz.

Danke vielmals alle zusammen

Vorschlag : (hoffe dass ich nicht Rilke's Sinn zu misshandelt habe !)

Prélude d'amour

O sourire, premier sourire, notre sourire.
Comment était-ce encore, de respirer le parfum des tilleuls,
d'écouter le silence du parc et soudain, lever les yeux, croiser nos regards et s'y fondre jusqu'au sourire ?

Dans ce sourire, il y avait le souvenir d'un lapin qui gambadait là-bas, dans l'herbe,
C'était l'enfance du sourire.
Le cygne, que nous vîmes, au cours de paisibles soirées, glissant sur l'étang, le divisant en deux moitiés, l'habillait de sérieux.
Et les cimes des arbres, contre le ciel pur et libre dans la nuit tombante,
dessinaient le ravissant visage de son avenir.

Tchüss

Christine
Henry Lou

Re: Kleine Schwieriegkeiten mit der Ubersetzung von Liebesanfang

Beitrag von Henry Lou »

Guten Abend madamebutterfly,

Dein Anfang klingt für mich ganz zauberhaft. Aber mein Schulfranzösisch lässt mich (was die sinngemäße Übertragung angeht) besonders gegen Ende etwas im Stich. Deshalb von meiner Seite hier zunächst ein Erklärungsversuch auf Deine Anfrage.

„Wie war das Eines“
Aus dem sinnlich erfaßten „Vielen“ erwächst „Eines“, ein gefühlsmäßiges Ganzes; dabei entsteht über die Einheit an Sinneseindrücken hinaus etwas „Höheres“, bei einem Blickkontakt ein gemeinsames Lächeln als Ausdruck des Teilens gemeinsamer Empfindungen. (Im Gegensatz dazu: jeder genießt für sich einzelne Eindrücke und schaut und lächelt so vor sich hin)

Dem Lächeln war „des Schwanes Bewegung eingegeben“ = Das Lächeln geht in einen anderen, ernsteren Ausdruck über, enthält - symbolisch betrachtet - den eines gleitenden Schwans: Liebe und Eros.
Oder übertragen als eine Art geistige Vereinigung der Lächelnden: Das zunächst reine, unbeschwerte Lächeln verliert dadurch seine Unschuld und wird sich einer Ernsthaftigkeit bewusst.

Noch einige Assoziationen dazu:

Stille, gepflegte Parkanlagen mit Linden, Weiher und Rasen - das klingt nach Eindrücken eines Pfingstausflugs auf die Fraueninsel im Chiemsee 1915 (in etwa zur Entstehungszeit des Gedichts). Rilke besuchte dort zusammen mit den Freundinnen Lulu Albert-Lazard und Lou Andreas-Salomé auch seine Frau Clara und Tochter Ruth.
Also Rilke auf der Fraueninsel umgeben von Frauen ... o là là – da „schwant mir etwas“, will sagen, da schwingt für den „Liebesanfang“ vielleicht eine gewisse Vorahnung mit, läßt kein gutes Ende befürchten.
Und es heißt auch weiter: Später wird die Bewegung des Schwanes „teilen“ im Sinne von „trennen“, (wobei die spiegelglatte Wasseroberfläche durch Wellen beunruhigt wird), das Empfinden von Vereintsein wird verschwinden.
Dann die begrenzenden Ränder gegen die Weite des Himmels, die andere Form...
Dem entzückenden Liebesanfang ist seine Zukunft wohl vorgezeichnet, so, wie ein Lächeln erstirbt.

Wie siehst Du das?

Henry Lou
madamebutterfly
Beiträge: 4
Registriert: 8. Nov 2009, 09:51

Re: Kleine Schwieriegkeiten mit der Ubersetzung von Liebesanfang

Beitrag von madamebutterfly »

Hallo Henry Lou,

Ich bin Nachtskrankenschwester und habe die letzen Tage gearbeitet. So war mein armes Hirn zu lahm um antworten zu können . Also vielen Dank fûr deine Hilfe. Ich hatte es nicht so gesehen. Aber es scheint mir ganz klar das "Eines" das gemeinsame gefühl etwas zu teilen bedeutet. Und bezüglich des "Antlitz", ich habe keine Biographie von Rilke gelesen, so wusste ich nichts von der Reise, und sah in diesem Lächeln nur die entzückte Zukunft des Liebesanfangs.

Tchüss und bis ein anderes Gedicht !

Christine
Henry Lou

Re: Kleine Schwieriegkeiten mit der Ubersetzung von Liebesanfang

Beitrag von Henry Lou »

Guten Abend madamebutterfly,

falls Du noch einmal vorbeischauen solltest, - ja, das lächelnde Antlitz beschreibt schon ein besonderes Glücksgefühl, erhofft sich eine ebenso entzückende Zukunft. Die Wipfel von Laubbäumen am Abendhimmel jedoch zeichnen dem Lächeln entgegengesetzte, nach unten gezogene Linien (in meinen Augen eine Anspielung auf die Ambivalenz im Glück einer beginnenden Liebe).
Anders gesagt: Sooft ich das Gedicht lese, ich lese es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es ist für mich die Schilderung eines bestimmten Lebensgefühls in wenigen Worten mit sehr liebevollen Bildern, eine Form von dem also, was Rilke für mich überhaupt erst ausmacht und weshalb ich ihn so mag - ohne Dich in Deiner Übertragung beeinflussen zu wollen.
Die Insel habe ich rein zufällig wieder erkannt, und sie scheint mir die „natürliche Kulisse“ des Gedichts zu sein, was aber für den Sinn oder eine Übersetzung hier nicht wirklich ausschlaggebend sein kann. (Pardon, ich wollte Dir das nur mal als Hintergrund an die Hand geben, keine Verwirrung auslösen.)

Liebe Grüße und weiterhin viel Freude mit Rilke

Henry Lou
stilz
Beiträge: 1226
Registriert: 26. Okt 2004, 10:25
Wohnort: Klosterneuburg

Re: Kleine Schwierigkeiten mit der Übersetzung von Liebesanfang

Beitrag von stilz »

Guten Abend,

ich möchte noch auf eine andere Ebene aufmerksam machen, die ich in diesem Gedicht sehe:

Dieses Lächeln, das am Beginn der Liebe steht, ist nicht nur ein punktueller Augenblick, sondern macht eine Entwicklung durch. Diese Entwicklung wird mit der Entwicklung des Menschen verglichen:
Zu Beginn ist es die "Kindheit des Lächelns" - da ist "alles Eines", so wie wir als ganz kleine Kinder die Welt noch als ein "Ganzes" erlebten, nicht unterschieden in "Ich bin hier" und "Die Welt ist dort".
Dann ("später", sagt Rilke) wird das Lächeln ernster, sozusagen erwachsener. Die ursprüngliche Einheit wird geteilt... so wie der Schwan den Weiher teilt. Wie Henry Lou ja schon gesagt hat: das ist das Ende der ursprünglichen Unschuld.
Und noch später steht der Hinweis auf den "ganz schon künftig nächtigen" Himmel, auf die "Ränder", also Begrenzungen... da schwingt für mich die Assoziation zu Vergänglichkeit und Tod mit...

Zu Deiner Übersetzung, liebe Christine (allerdings muß ich gestehen, meines ist nicht einmal "Schul-Französisch", ich habe einfach im Laufe des Lebens etwas aufgeschnappt):
Le cygne, que nous vîmes, au cours de paisibles soirées, glissant sur l'étang,
le divisant en deux moitiés,
schreibst Du.
Für mich liest sich das so, als bezögest Du das "le" nur auf "l'étang".
Bei Rilke teilt der Schwan, indem er seine Spur durch den Weiher zieht, nicht nur den Weiher, sondern auch den Abend: Er teilt den Weiher "in zwei Hälften lautlosen Abends".
Das ist für mich ein ganz besonders kostbares Bild. Denn es nimmt die "Einheitserfahrung" aus der Kindheit noch einmal auf: der Weiher und der Abend sind ursprünglich eines, wenn sie nicht aktiv geteilt werden...

Herzlichen Gruß!

stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)
Henry Lou

Re: Kleine Schwieriegkeiten mit der Ubersetzung von Liebesanfang

Beitrag von Henry Lou »

Liebe madamebutterfly,

gerade gefunden, möchte es Dir nicht vorenthalten:

Hinter den schuldlosen Bäumen

Hinter den schuldlosen Bäumen
langsam bildet die alte Verhängnis
ihr stummes Gesicht aus.
Falten ziehen dorthin ...
Was ein Vogel hier aufkreischt,
springt dort als Weh-Zug
ab an dem harten Wahrsagermund.

O und die bald Liebenden
lächeln sich an, noch abschiedslos,
unter und auf über ihnen geht
sternbildhaft ihr Schicksal,
nächtig begeistert.
Noch zu erleben nicht reicht es sich ihnen,
noch wohnt es
schwebend im himmlischen Gang,
eine leichte Figur.


Dem „Liebesanfang“ sinnverwandt, geschrieben zwei Jahre früher ! (1913).
Und sieht man nicht förmlich die Leier am Himmel, Orpheus und Eurydike...?

Sei mal dahingestellt von

Henry Lou
helle
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Registriert: 6. Mai 2005, 11:08
Wohnort: Norddeutsche Tiefebene

Re: Kleine Schwierigkeiten mit der Übersetzung von Liebesanfang

Beitrag von helle »

stilz hat geschrieben: 12. Jan 2010, 22:47 Zu Beginn ist es die "Kindheit des Lächelns" - da ist "alles Eines", so wie wir als ganz kleine Kinder die Welt noch als ein "Ganzes" erlebten, nicht unterschieden in "Ich bin hier" und "Die Welt ist dort".
Liebe stilz,

die Diskussion liegt zwar 13 Jahre zurück, aber einerlei. Rilke sagt hier nicht (wie im gleichnamigen Gedicht »Alles ist eins«), daß »alles Eins« ist, ein dem Empfinden des Kindes scheinbar vergleichbar unterschiedsloses »Ganzes«. Das Gedicht benennt eher die Gleichzeitigkeit des Augenblicks der beiden Liebenden, in dem sie einander staunend und lächelnd erkennen, mit der Umgebung des Parks. Sie sind auch in ihrem Liebesglück keineswegs so trunken, daß sie die Welt um sich vergessen, vielmehr ist die Umgebung in diesem prägnanten Augenblicks gegenwärtig und benannt als Park mit Lindenbäumen, in dem die Stille wohl auf den frühen Abend hinweist. Auch das Lächeln selbst ist keins von Trunken- und Selbstvergessenheit, sondern es nimmt etwas aus der Erinnerung an voraufgegangene Augenblicke in sich hinein, konkret als Erinnerung an den »Hasen« (glückliche Zeiten, in denen im Park noch Hasen ›spielen‹ konnten), der »drüben« zu sehen war. Was immer »Hase« und »drüben« hier außer Hase und drüben bedeuten mögen - das »drüben« schillert, wie ich finde, etwas jenseitig herüber und das Gedicht wechselt unmerklich von der konkreten zur abstrakten und symbolischen Ebene.

Es macht nämlich nun einen energischen, allegorischen Strich durch die Rechnung der anscheinend unschuldigen, in Park und Lindenduft aufgehobenen und im Lächeln sich offenbarenden Liebeserfahrung.

Wenn das Gedicht von der »Kindheit des Lächelns« spricht, erscheint das Lächeln fast wie eine biographische faßbare Person. Ihr oder ihm, dem Lächeln, ist dann auch bald schon der nächste, in großen Schritten vollzogene Status »eingegeben«. »Ernster« (»erwachsener«, das stimmt genau) als in der noch possierlichen Hasenerinnerung vollzieht sich die Teilung –von Weiher und Abend, aber auch vom Konkreten (Gewässer, Schwan, Tageszeit) zum Abstraktum des neuen Lebensalters. Und womöglich auch der Trennung von Ich und Du (wie auch »Henry Lou« bemerkt), als Schritt vom »ineinander aufschaun« zum gemeinsamen »teilen sehen«.

Rilkes Ingenium liegt sicher auch in der ihm eigenen dezidierten Auffassung von der Kindheit, die er nicht mit gönnerhafter Nachsicht aus der Perspektive des Späteren, Erwachsenen beurteilt, sondern der er eigene Fähigkeiten der Welterschließung abgewinnt. Das zeigt sich weniger in der häufig vollzogenen Thematisierung der Kindheit als in Annahme und Gebrauch jener kindlichen Sichtweisen, die man etwa als Animismus und Anthropomorphismus bezeichnen kann (sicher gibt es treffendere Begriffe) und die das kindliche Vermögen, Dingen und Erscheinungen menschliche Qualitäten zu vergeben, als poetische Mittel verwendet: Hier sind es neben der »Kindheit des Lächelns« auch die »Hälften lautlosen Abends«. Sowie im dritten Schritt der Geschichte des »Lächelns« die Wendung, nach der die Ränder der Wipfel zugleich als relativ strenge Begrenzungen des besagten Lächeln erscheinen, als läge ein Willensakt vor. Am Ende verdankt sich auch das Abrücken der »entzückten Zukunft« einem vergleichbaren Kontaminieren eigentlich abstrakter Bedeutungen.

Gruß, helle
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